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22 NORDIC FRIENDS LOUNGE

[ Nordic

point of view ]

Spannung aus dem hohen Norden Wunderschöne Landschaften, grausame Verbrechen und kantige Ermittler – Krimis aus dem Norden, auch Nordic Noir genannt, ziehen seit Jahrzehnten Leser aus aller Welt in ihren Bann. Was macht den Reiz des Genres aus?

Alles begann mit der Romanserie Roman om ett brott (Roman über ein Verbrechen) der schwedi- schen Autoren Maj Sjöwall und Per Wahlöö, die zwi- schen 1965 und 1975 erschien. In deren Mittelpunkt steht der Polizist Martin Beck, der in einer Reihe von Mordfällen ermittelt, die das Land erschüttern. Sjöwall und Wahlöö, beide gelernte investigative Journalisten, wählten das populäre Genre des Kri- minalromans, um die Aufmerksamkeit eines breiten Publikums auf Missstände in der schwedischen Ge- sellschaft zu lenken. Indem das Duo dem ansonsten eher unterhaltungsorientierten Kriminalroman eine sozialkritische Komponente hinzufügte, schuf es ein neues Genre: Nordic Noir. Kurt Wallander betritt den Tatort Weitere Serien ähnlicher Art folgten. Doch es dauer- te bis in die 1990er-Jahre, bis Henning Mankell mit seinen Romanen über Komissar Kurt Wallander besonders großes Aufsehen erregte. Mördare utan ansikte (Mörder ohne Gesicht, 1991) markiert den Beginn der Serie, die schnell die Bestsellerlisten in zahlreichen Ländern eroberte. Zwischen Kurt Wallander und Martin Beck lassen sich mehrere Parallelen ziehen. Beide sind Polizisten mit überaus menschlichen Zügen und einem zerrütteten Privat- leben, was es dem Leser ermöglicht, sich mit ihnen zu identifizieren. Während Beck in der Großstadt Stockholm lebt, ist Wallander jedoch in der schwe- dischen Kleinstadt Ystad zu Hause. Dieser Kontrast zwischen der ländlichen Idylle und den brutalen Morden, die dort geschehen, trägt wesentlich zur Spannung bei. Wie ihr literarisches Vorbild zeichnen sich Mankells Romane durch präzise Beschrei- bungen der Ermittlungsarbeit und eine kritische Haltung gegenüber den Ereignissen aus. Vor allem aber zielen auch Mankells Romane darauf ab, einen Diskurs über gesellschaftliche Themen anzuregen. Blomkvist und Salander ermitteln Der Erfolg der Wallander-Romane wurde einige Jahre später von einer neuen Serie übertroffen. Die Millennium-Trilogie des Schweden Stieg Larsson markierte den internationalen Durchbruch des nor- dischen Kriminalromans. In ihnen ermitteln Mikael Blomkvist, Redakteur der Zeitschrift Millennium, und die Hackerin Lisbeth Salander in Fällen von

Trügerische Idylle: Beschreibungen friedlicher Landschaften sind ein typisches Merkmal von Romanen im Stil des Nordic Noir. Doch nur allzu oft lauern hinter der schönen Fassade menschliche Abgründe.

Gewalt gegen Frauen und kriminellen Praktiken im schwedischen Staatssystem. Einem Land, das in puncto Gleichberechtigung und Sozialstaat als vorbildlich gilt, wird massives Versagen in bestimm- ten Bereichen vorgeworfen. Der Erfolg der Serie war überwältigend: Sie wurde nicht nur in mehr als 40 Sprachen übersetzt, sondern schaffte es in zahl- reichen Ländern in die Bestsellerlisten und schließ- lich sogar auf die Kinoleinwand. Es bleibt spannend Nordic Noir begeistert noch immer Leser in aller Welt. Charakteristisch für alle Texte des Genres ist die Spannung zwischen der Grausamkeit der Verbrechen, den gestörten, von Alltagssorgen geprägten Lebensumständen des Ermittlers und der detaillierten Beschreibung einer meist friedlichen, idyllischen nordischen Landschaft. Die Gesellschafts- kritik ist ein wichtiges Element der Romane. Wäh- rend „Wer war‘s?“ weltweit die klassische Frage des Krimis ist, stellt Nordic Noir sie anders: „Wie konnte es so weit kommen?“ Im Gegensatz zu anderen Formen der Unterhaltungsliteratur regt Nordic Noir damit zum Nachdenken an und findet vielleicht gerade deshalb immer wieder seine Leser. 

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