Typisch Italien

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Nahe an der Grenze nach Apulien liegt das Weingut Borgo di Colloredo. Man hat von hier, an einem sanften Hang, mehr als nur die Ahnung, dass es keine fünf Kilometer bis ans Adriatische Meer sind. In der Ferne liegt sogar eine kleine Insel vor der Küste, die man mit bloßem Auge erkennen kann. Es ist ein richtiges Idyll. Aber trotzdem ist die Gegend weitgehend unberührt, verglichen mit dem Rest des Landes hat man es in der Molise noch mit einem unverfälschten, fast schon ursprünglichen Italien zu tun. Hier ist das Gemüse frisch, die Tomaten schmecken tatsächlich nach Tomate, die Strände sind nicht ganz so preußisch durchorganisiert wie weiter nördlich und hin und wieder findet sich noch eine ältere Dame in komplett schwarzer Witwengewandung.

D ass sich inmitten einer so unberührten Gegend ein so hervorragend aufgestelltes Weingut wie Borgo di

Colloredo finden lässt, ist vielleicht ein biss- chen überraschend. Colloredo ist älter als die DOC, in der es liegt, 1975 wurde das Weingut gegründet, acht Jahre jünger ist die DOC Biferno nach dem Fluss, der unweit ins Meer mündet. „Ich und mein Bruder sind die dritte Generation, die Wein macht“, sagt Enrico di Giulio. Er ist für den Keller zuständig, also tatsächlich nur für den Wein, während Pasquale sich um die Felder kümmert, wo bei weitem nicht nur Wein wächst, sondern auch Fenchel, Tomaten, Zwiebeln und vieles andere Gemüse. Klingt alles vielleicht eher traditionell und altbacken. Aber weit gefehlt: „Neulich haben wir einen vollautomatischen Roboter getestet, der elektrisch betrieben wird. Der könnte den Rebschnitt besorgen“, erzählt der hagere, hochgewachsene Enrico. Wie bitte?

Ähnlich wie auch Enrico und Pasquale sich weltoffener präsentieren, als man hier im vergessenen Hinterland Italiens vielleicht erwarten würde, sind auch die Weine eher im Verborgenen groß. Man sagt, dass die Molise das ganze Land in Kleinformat darstellt und meint damit eigentlich, dass man hier auf engem Raum sowohl an den Strand gehen wie auch Ski fahren kann. Aber das gleiche gilt auch für den Wein. Der Biferno Rosso zum Beispiel ist traditionell eine Cuvée aus Montepulciano und Aglianico. Wenn hier in einem Wein die typischen Rebsorten der Abruzzen und der Basilicata aufeinandertreffen, ist das Molise in Reinkultur. Als eine Art Melting Pot im Niemandsland zwischen bekannteren Wein- regionen hat die Molise eine interessante

» ALS UNSERE GROSS- ELTERN HIERHER KAMEN, GING ES EIGENTLICH DARUM, IHRWEINGUT IN DEN ABRUZZEN ZU ERWEITERN « Enrico di Giulio

H I D D E N C H A M P I O N S

Mischung aus eigener Identität und Offenheit für die Nachbarn. Cuvées wie der Biferno, Enricos ganzer Stolz, stehen neben sorten- reinen Weinen in Weiß und Rot, die vollkommen modern und

Und dann holt er zu einem langen Bogen der Erklärung aus. Im Gröbsten: Einerseits gibt es in der Molise durch die extreme Landflucht in die Städte kaum Arbeiter. „Es wurde sogar mal eine Prämie versprochen, wer in die Molise zog, bekam 700 Euro.“ Genutzt hat es nicht viel und heute muss man Weinbergsarbeiter händeringend suchen. Außerdem, erläutert er einen weiteren Vorteil an der Hochtechnologie, wird der Boden viel weniger verdichtet als beim konventionellen Verfahren mit dem Traktor, weil der Roboter ein ganzes Stück leichter ist. Gut, man hatte schon beim Blick auf die blitzblanken Vergärungstanks und die ordentlich aufgereihten Holzfässer im modernen Keller die Ahnung, es hier nicht mit Hinterwäldlern zu tun zu haben. „Der Roboter war jetzt erstmal nur als Test hier, aber vielleicht wird daraus in Zukunft eine echte Option.“

1. | ENRICO DI GIULIO UND SEIN BRUDER PASQUALE 2. | VOM WEINGUT AUS KANN MAN DIE ADRIA SEHEN

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