IJAB journal 02/2023

INTERVIEW

„Ich bin mit meinen Problemen nicht allein“ Peer-Beratung an einer japanischen Schule Shinichiro Tanaka ist stellvertretender Direktor einer Junior High School in der japanischen Stadt Kumamoto. Er sagt: „Der Stress für junge Menschen ist einfach zu groß“. Damit Kinder und Jugend­ liche Hilfe erhalten, hat er eine Peer-Beratung eingerichtet. Junge Menschen beraten junge Menschen – mit Erfolg.

IJAB: In Japan gibt es eine vergleichsweise hohe Rate von Selbstmorden unter jungen Menschen. Woran liegt das?

AGs einen besonderen erzieherischen Effekt verspricht, wird auch Druck ausgeübt, damit Kinder und Jugendli- che daran teilnehmen. Es bleibt also kaum Freizeit. Sie haben das Gefühl, ständig getrieben zu werden, weil sie wenig Freizeit haben. Kinder, die wenig Kontakt zur örtlichen Gemeinschaft haben, werden gänzlich von der Familie beeinflusst, der sie angehören, und können sich nirgendwo hinwenden, wenn sie Hilfe brauchen. Die Diskussion um mangelnde Freizeit ist in Deutsch- land nicht unbekannt. Die Jugendverbände haben zum Beispiel seit langem die Offene Ganztagsschule kritisiert, weil sie jungen Menschen kaum Zeit für selbstbestimmte Freizeit oder Engagement lässt. Shinichiro Tanaka: Ja, das habe ich auch gehört, aber es gibt einen wichtigen Unterschied. In Japan werden die AGs von denselben Lehrern gestaltet, die auch vor- mittags unterrichten. Das kann gut sein, wenn man sich mit einem Lehrer gut versteht. Aber wenn es mal nicht so ist, gibt es ein Problem. Von den AGs erwartet man sich eine Verbesserung der Disziplin und eine besse- re geistige Entwicklung. Es gibt praktisch keine Freizeit. Das wissen wir auch aus Umfragen über das Wohlbefin - den junger Menschen. Dazu kommt noch das familiäre Umfeld. Eltern versuchen, ihre Kinder zu kontrollieren und interessieren sich auch nicht viel für die Sorgen ihrer Kinder. Erziehung erfolgt oft in der Form, wie Eltern den- ken, „das ist so und du machst das jetzt so“. Es wird mit dem Kind nicht viel gesprochen und diskutiert.

Shinichiro Tanaka: Das ist richtig. Im Vergleich mit an- deren Industrienationen ist die Selbstmordrate in Japan hoch. Das Problem ist bereits vor langer Zeit erkannt worden und die Regierung hat auch Maßnahmen dage- gen ergriffen. Die Selbstmordrate nach Altersgruppen ist in Japan in den letzten Jahren dank der Maßnahmen zu- rückgegangen. Leider ist die Selbstmordrate bei jungen Menschen jedoch nach wie vor hoch und steigt sogar leicht an. Es gibt keine singuläre Erklärung dafür, aber meine persönliche Meinung ist: Der Stress für junge Men- schen ist einfach zu groß. Der Schulunterricht beginnt um 8 Uhr. Wer am morgendlichen Sport teilnehmen möch- te, fängt um 7:30 Uhr an. Nach der regulären Schule gibt es noch Arbeitsgruppen. Das dauert dann bis 16:30 Uhr. Die Teilnahme an den AGs ist freiwillig, aber weil in Japan das Gemeinschaftsgefühl besonders stark ist, nehmen viele Schüler daran teil. Weil man sich von den

„Der Stress für junge Menschen ist einfach zu groß.“

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