ELITE: 130 JAHRE HANDWERKSKUNST
Edith Caillet empfängt uns in ihrem kleinen Wohnzimmer im Erdgeschoss der Rue du Lignolat in Aubonne. Wir befinden uns im Wohnhaus der Familie. Auf der gegenüberliegenden Strassenseite befanden sich die Werkstätten von Caillet, in denen die Matratzen von Elite hergestellt wurden. Edith Caillet ist eine geistig rege, elegante Frau mit einem bemerkenswerten Gedächtnis. Anlässlich des 130-jährigen Jubiläums blickt sie auf die jüngste Geschichte von Elite zurück, die in gewisser Weise auch ihre eigene Geschichte ist. « Ich habe meine Mutter immer arbeiten sehen»
W ir schreiben das Jahr 1946, der Flughafen Genf-Cointrin weiht eine interkontinentale Start- und Landebahn ein und Robert Caillet reist geschäftlich mit dem Zug nach Zürich. Er hat kürzlich das Unternehmen Elite in Caslano im Tessin übernommen, das Bettuntergestelle und Matratzen mit Federkernen herstellt. Unterwegs erleidet er einen Schlaganfall, den er zwar überlebt, aber teilweise gelähmt bleibt. Edith Caillet ist 7 Jahre alt, ihr älterer Bruder Maurice ist 14 und Marianne, die Älteste, ist 17 Jahre alt. Zwar befindet sich das Unternehmen gegenüber dem Familienhaus in der Rue du Lignolat in Aubonne, doch Robert kann es nicht mehr alleine führen. Seine Ehefrau Yvonne steigt ein, holt Ihre Mutter zur Hilfe, um auf die Kinder aufzupassen und mit der Unterstützung ihres hilfsbereiten und aufgeschlossenen Ehemannes übernimmt sie nach und nach die Leitung des Geschäfts. Edith Caillet erinnert sich: «Mein Vater war keineswegs einer dieser schrecklichen Chauvinisten». Yvonne Caillet erweist sich in einer
Zeit, in der Schweizer Frauen sich ihren Ehemännern unterordnen, als geschickte Unternehmerin. Verheiratete Frauen bedürfen der Zustimmung ihres Ehemannes, um einen Arbeits- oder Mietvertrag abzuschliessen oder ein Bankkonto zu eröffnen. Aus purer Notwendigkeit heraus muss Yvonne Caillet sich von ihrer traditionellen Rolle als Hausfrau und Mutter lösen. Sie ist überall: in den Werkstätten, bei der Angebotserstellung, in der Verwaltung. Edith Caillet gibt zugegebenermassen mit einer gewissen Bewunderung zu: «Ich habe meine Mutter immer arbeiten sehen». 1948 verstirbt Robert. Edith ist 9 Jahre alt. Im darauffolgenden Jahr verlegt Yvonne die Produktion von Matratzen und Betten vom Tessin nach Aubonne. Nun wird in der Werkstatt in der Rue du Lignolat Italienisch gesprochen. Handwerker kommen aus dem Tessin nach Aubonne, um dort zu arbeiten. Die Matratzen von Elite mit ihren Federnkernen, Pferdeschweifhaar- und einer Wollpolsterung sind weit und breit für ihre Qualität und Formbeständigkeit bekannt, insbesondere dank der patentierten Polsterwulst, die für einen festen Halt rundum sorgt.
Bald unterstützt auch Marianne ihre Mutter, während Maurice in der Deutschschweiz eine Lehre als Polsterer absolviert. Währenddessen zieht Edith nach Deutschland und dann nach England, um ihre Ausbildung zu vervollständigen. «Ich war eine junge Frau wie alle anderen auch. Ich hatte überhaupt kein Interesse am Unternehmen». 1953 übernimmt der Sohn Maurice Caillet im Alter von 21 Jahren offiziell die Firma Caillet. Er ist die dritte Generation in einer Dynastie von Sattlern und Polsterern aus dem Waadtland. Neben seiner Leidenschaft für Polsterarbeiten liebt Maurice rasante Geschwindigkeit, nimmt an Autorennen teil und ist Mitglied des Rennstalls «Ecurie de la Côte». Der Maserati von Maurice und der Tojeiro-Bristol des Engländers Chris Threlfall kollidieren beim Grand Prix Automobil des Frontières 1956. Maurice ist schwer verletzt und Edith Caillet muss sich zunehmend in das Unternehmen einbringen, während Marianne mit ihrem Ehemann nach Mailand zieht. «Mein Einstieg in das Unternehmen ergab sich ganz natürlich», sagt Edith Caillet, die damals noch keine besonderen Karriereziele hatte.
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