NATIONAL GEOGRAPHIC TRAVELER

auf sich selbst zu verlassen, fügt Valantis hinzu. Er hat eine Ausbildung in Erster Hilfe und ist nebenbei noch Anführer der jungen Pfadfinder. Der Wiederaufbau der Stadt wird von den Eigen­ tümern durchgeführt, Haus für Haus. In den Seiten­ gassen sind die Schäden am deutlichsten erkennbar. Wir erreichen das Kastro, die Überreste einer Festung aus dem 14. Jahrhundert – heute kaum mehr als ein Aussichtspunkt. Von hier aus breitet sich die Bucht von Symi weit unter uns aus. Die warme Brise streicht über das Buschland, der vom Lehm rot gefärbte Boden spiegelt sich im Türkis der Ägäis. Eine unbefestigte Straße führt durch das bewaldete Hinterland. Außer Markierungen auf Steinen gibt es keine Wegweiser, und da auch keine Wanderkarten existieren, können Touristen nicht einmal ahnen, dass es diese Wege gibt. Der wanderbegeisterte Valantis hat sie mit seiner Smartwatch selbst aufgespürt und hofft, eines Tages einen besseren Zugang zu schaffen. „Ich gehe gerne auf diesen Pfaden, so wie die alten Symianer“, sagt er. Dieser Weg stellte einst die Verbindung zwischen Symi-Stadt und dem Kloster in Panormitis im Süden dar. Esel erklommen den steilen, schwierigen Weg, die Gläubigen nahmen ihn auf sich, um ihre Hingabe zu demonstrieren. Als in den 1960er- Jahren eine Straße längs über die Insel asphaltiert wurde, verkürzte sich die Pilgertour von vier Stunden auf eine Strecke von 30 Minuten. „Manchmal wandere ich noch“, sagt Valantis. „Wenn ich ein Gelübde habe. Ein großes.“ Die Siedlung Panormitis – im Wesentlichen eine einzige Straße

am Meer – gruppiert sich um das Kloster Archontas Michail Panormitis, dessen Fassade sich stolz über die Küste erhebt. Mit der Ankunft der Fähren für Tagesausflügler, die direkt an der Anlage halten, schwellen die Menschenmassen an. Eine stille Prozession von Besuchern betritt die Kirche. Sie küssen nacheinander eine versilberte Figur des Erzengels Michael. Sie ist einer Ikone nachempfunden, die der örtlichen Überlieferung zufolge vor Jahrhunderten auf wundersame Weise an der Stelle auftauchte, an der der Komplex jetzt steht. Am anderen Ende der Anlage befindet sich ein kleines Museum, in dem Holzkisten, Flaschenpost, Nachbildungen mächtiger Schiffe und bescheidenere Einmastschiffe ausgestellt sind, von denen eines mit Muscheln bedeckt ist. Opfergaben, so Valantis, die auf der Insel angespült wurden. Wir unterhalten uns über die Funde in Panormitis’ einzigem Café, dessen Besitzer Mihalis Tsauselis gleichzeitig stellvertretender Bürgermeister von Symi ist. „Ich habe auch eine gefunden – eine Flaschenpost, die denjenigen, der sie gefunden hat, auffordert, hier drei Kerzen anzuzünden“, sagt Valantis und nippt an seinem Kaffee. „Es hat hier schon viele Wunder gegeben.“ Er reißt die Augen weit auf und nickt energisch, als ob ich ihm nicht glauben würde. Macht nichts, denke ich. Auf dieser kleinen Insel kann die Gemeinschaft offenbar ihre eigenen Wunder vollbringen – und das ist an sich schon ein Segen.

Oben (v. l.): Mor­ gens am Hafen auf Symi. Das Kloster Archontas Michail Panormitis.

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GRIECHISCHE INSELN

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