D ie Wellen schwellen an, dann stürzt die Flut über Felsen hinab. Wasserstrahlen schie- ßen aus allen Ritzen, vor Wut schäumend und tosend, und hüllen die ganze Region in weißen Dunst. Die Murchison Falls in Uganda, die sich über einen Steilhang an der nördlichsten Spitze vom Großen Afrikanischen Grabenbruch ergießen, sind turbulente Zeiten gewohnt. Dieser gewaltige Engpass im Nil hat bereits Brücken verschlungen und leichte Flugzeuge vom Kurs abgebracht, und er ist nur knapp einer Talsperre entgangen. Der Wasserfall ist ein Hexenkessel der Kontroverse, in dem Meinungsverschiedenheiten kochen, und heute scheint die Stimmung düsterer als in der Hölle. Schreckhafte Schmetterlinge flattern über die Brandung, und Regenbogen schaffen es nicht, ihre Biegung zu vollenden, während die Stromschnelle alles auffrisst, was ihr in den Weg kommt. Starke Regenfälle haben die Wasserstände ansteigen lassen, aber es könnte noch mehr Gründe für das Grollen geben, meint mein Führer George, als wir zu einem nahe gele- genen Aussichtspunkt wandern. Termiten- hügel glitzern und Quarzitfelsen glänzen wie Juwelen. Doch es sind andere Reichtümer, die zurzeit die Zukunft von Ugandas ältestem Naturschutzgebiet und größtem National- park bestimmen. „Öl ist wie ein Fluch“, beschwert sich George, als wir den Gipfel erreichen. Der Entscheidung, in Murchison Falls nach dem schwarzen Gold zu bohren und eine Pipeline nach Tansania zu verlegen, begegnet man in Uganda mit gemischten Ge- fühlen. Das Land ist reich an Naturschätzen, aber wirtschaftlich arm. Der französische Ölkonzern TotalEnergies hat zwar verspro- chen, die Umweltbelastung zu minimieren, doch Lodge-Besitzer, Fremdenführer und Naturschützer bleiben skeptisch. Das zeigt, wie viel Wert Uganda auf seine Naturschauplätze legt. Schon früher wurde das Land für seine Umweltschutzbemühun- gen gelobt. Hinter den Kulissen der zehn Nationalparks und zahlreichen Reservate arbeiten viele Menschen hart daran, sie zu schützen. Während ich die Gegend von der Straße und dem Fluss aus erkunde, treffe ich auf einen wertvollen Garten Eden: Wasser-
wege quellen fast über vor Krokodilen und Flusspferden, das Schleichen von Schuh- schnäbeln lässt Papyrushalme zucken, und seltene Rothschild-Giraffen schreiten über ausgedehnte Savannen und Hügel. Zusammen mit der Uganda Wildlife Autho- rity (UWA) arbeitet die NGO Uganda Conser- vation Foundation daran, dieses Paradies zu bewahren. Im 2021 fertiggestellten Zentrum für Aktionen zur Strafverfolgung präsentiert uns Gründungsverwalter Mike Keigwin stolz einen Komplex, in dem jedes Zahnrad eines gut geölten Mechanismus zur Bekämpfung der Wilderei – von satellitenähnlichen Über- wachungsmonitoren bis hin zu temporären Gefängniszellen und einer Polizeistation – vor sich hin surrt. 100 junge Leute aus den Randgebieten von Murchison Falls wurden für den Bau unter Vertrag genommen, viele von ihnen machen jetzt eine Ausbildung zum Ranger für die UWA. „Es ist das erste Projekt dieser Art in Afrika“, strahlt Mike, ein Brite, der seinen Job bei der Beratungsfirma Delo- itte aufgab, um im Naturschutz zu arbeiten. Wilderer vor Ort festzuhalten, beschleunigt den juristischen Prozess, erklärt er. Com- puter zeigen die Vorfälle von Ernteschäden auf Landkarten. So können sich die Ranger um Problemtiere kümmern, die den Park verlassen haben und auf Grundstücken der Gemeinde herumstreunen. Von den späten 1970ern bis zum Jahr 2000 ging in Murchison Falls, einst der meistbe- suchte Park Afrikas, die Zahl der Elefanten von 16 000 auf 500 zurück. In letzter Zeit hat sich die Situation stabilisiert, und der Tourismus kehrt zurück. Eine Kammer mit beschlagnahmten Waffen ist eine Erinne- rung daran, dass illegale Aktivitäten noch immer eine Bedrohung darstellen. „Unter jedem Gebäude in diesem Komplex befinden sich weitere 20 000 bis 30 000 Fallen“, seufzt Mike und zeigt schwere Radkrallen, die zum Teil noch Büschel von Tierhaaren in ihren Klauen halten. „Uns geht der Platz aus.“ Die Kosten für den Schutz von Afrikas Natur- gebieten sind gewaltig, aber die möglichen Verluste sind zu erdrückend. Der Handel mit Teilen von Tieren ist zwar weitgehend unter Kontrolle, doch gibt es Konflikte zwischen Gemeinden und Tierwelt – Bewohnerzahlen steigen, Lebensräume werden kleiner.
IM UHRZEIGERSINN (V. O.): Eine Gorilla-Wanderung auf der südwestlichen Seite des Bwindi Impenetrable Forest durchquert lokale Plantagen. Die Spitzen der Virunga-Vulkane. Mitglieder der Batwa-Gemeinde im Dorf Sanurio, hoch in den Hügeln von Nkuringo. VORIGE DOPPELSEITE: Mit etwas Glück kann man auf einer Gorilla- Wanderung die sanften Riesen aus nächster Nähe sehen.
48 NATIONAL GEOGRAPHIC TRAVELER 3/2022
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