NATIONAL GEOGRAPHIC TRAVELER

Im Uhrzeigersinn (v. l. o.): Der Strand von Vlychos. Tavernen an der Uferpromenade von Hydra-Stadt. Die Stadt ist ein Labyrinth aus engen Gassen. Pferde, Maultiere und Esel werden für den Transport benutzt.

ENTSCHLEUNIGEN AUF HYDRA FREIHEIT PUR

Auf Hydra vor der Ostküste des Peloponnes gibt es keine Autos. Reisende erkunden die Insel zu Fuß, mit dem Boot oder vom Sattel aus – und lassen es dabei ganz langsam angehen. Text: Julia Buckley

Als die Fähre aus Athen in den Hafen einläuft, scheint Hydra zunächst wie jede andere Insel zu sein. Flatternde griechische Flaggen winken uns in den Hafen, weiße Häuser, die sich vom ruhigen Meer aus den Hang hinauf erstrecken, leuchten im Sonnenschein. Ich höre das Klirren von Gläsern in den Bars und sehe Hotelbesitzer am Hafen, die darauf warten, Besucher in ihre Häuser zu bringen. Nur dass diese Einheimischen nicht, wie sonst auf den griechischen Inseln üblich, in ihren Autos warten. Hydra – vor der Ostküste des Peloponnes, 90 Minuten mit dem Schiff von Piräus entfernt – ist autofrei. Sogar Fahrräder sind verboten, dank eines Gesetzes aus den 1950er-Jahren, das die Insel so erhalten will, wie sie schon immer war: ein Labyrinth aus Gassen, das man zu Fuß oder per Maultier erkunden kann. „Man gewöhnt sich daran“, sagt Harriet Jarman, als ich sie am nächsten Morgen in ihrem Stall treffe, Harriet’s Hydra Horses. Ihre acht Pferde sind damit beschäftigt, geräuschvoll auf frischem Heu zu kauen. „Man sieht ältere Frauen, die drei Taschen mit Einkäufen tragen. Mein Sohn musste mit 18 Monaten laufen, weil ich ihn nicht mehr tragen konnte.“ Harriet war zehn, als sie mit ihrer Mutter von England nach Hydra zog. „Wir kamen in den Ferien und fanden es toll, also blieben wir“, sagt sie schlicht und striegelt Melina, ein geschecktes graues Tier- schutzpferd vom Peloponnes, unter einem Eukalyptus­ baum. Harriet reitet schon ihr ganzes Leben lang und war 2014 die erste, die auf Hydra Ausritte für Besucher anbot. Mehr als 1000 Pferde gibt es hier, die wie früher als Arbeitstiere genutzt werden. „Es ist viel einfacher, die Insel vom Sattel aus zu sehen“, sagt sie. „Hier gibt es viele Treppen und Auf- und Abstiege. Auf einem Pferd kann man sich zurücklehnen und die Aussicht genießen.“ Harriet führt die Besucher auf Saumpfaden entlang der Klippen und zu Klöstern in die Berge hinauf. „Es steht fünfzig zu fünfzig, ob sie uns jetzt reinlassen. Vor der Pandemie luden sie uns auf einen Kaffee ein.“

Auf Hydra gibt es nur wenige Straßen – die ein­ zigen Möglichkeiten, einige der Buchten zu erreichen, sind Segeln oder Wandern. Für die am weitesten entfernten Strände eignet sich am besten die Anreise per Boot: Bisti, eine winzige Bucht mit einem seltenen Baumbestand an der Westspitze von Hydra, und Agios Nikolaos, eine ruhige Bucht an der Südwestküste zwischen den Bergen. Näher an der Stadt wird das Wandern jedoch zu einem Teil des Erlebnisses. Am Morgen bin ich mit dem Boot zum Strand Plakes gefahren, rund drei Kilometer westlich der Stadt gelegen. Jetzt schlendere ich über einen rötlich gefärbten Feldweg zurück. Er führt an prächtigen bemalten Villen vorbei, die in Hydras Blütezeit im 18. und 19. Jahrhundert von wohlhabenden Schiffs- eignern erbaut wurden. Taxiboote gleiten über das Wasser, der Daumen der peloponnesischen Hand schwebt in der Ferne über dem Meer. Ich komme an einer Kirche mit blauer Kuppel vorbei, dann an einem Amphitheater auf den Klippen. Die Boho-Kulturszene von Hydra erreichte ihren Höhepunkt in den 1960er-Jahren, als etwa Leonard Cohen hier lebte. Ich biege zum Strand von Vlychos ab. Meine Anstrengungen werden mit einem Fest­ mahl aus mit Knoblauch marinierten Sardellen und Wassermelonen-Feta-Salat im Enalion belohnt, einem Strandrestaurant zwischen Akazienbäumen. Es ist so still, dass ich schwöre, ich höre den Schmetterling, der auf meinem Tisch landet, während ich meinen Becher mit Rotwein vom Peloponnes leere. Nach einem Nachmittag am Strand laufe ich zurück in die Stadt. Der Weg steigt so sanft an wie ein Cohen- Song, vorbei am winzigen Hafen von Kamini, wo Fischerboote vor sich hin dümpeln, wieder hinauf zu einer Bank, die Cohen gewidmet ist, und vorbei an den Restaurants auf den Klippen, die den Zugang zur Stadt Hydra markieren. Als die Sonne untergeht, färbt sich das Meer rosa, und die Gassen mit ihren weiß getünchten Häusern winden sich einladend von der Uferpromenade weg. Auf Hydra ist der Weg das Ziel.

REISE-INFOS Es gibt keinen Flug­ hafen auf Hydra. Von Athen (Piräus) braucht das Tragflächenboot etwa 90 Minuten. Auf der Insel fahren regelmäßig Boote zu Stränden wie Plakes und Vlychos, aber auch zu den weiter entfernten Spots Agios Nikolaos und Bisti. bluestarferries.com Hotel Orloff, DZ ab ca. 181 Euro. orloff.gr

MEHR INFOS hydradirect.com ,

harrietshydrahorses. com , enalion-hydra.gr

48 NATIONAL GEOGRAPHIC TRAVELER 3/2025

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