NATIONAL GEOGRAPHIC TRAVELER

ABENTEUER

Strom wäre da, um den Akku aufzuladen. Die Bunea Wilderness Cabin ist ein Beobachtungsposten in den Bergen, tief versteckt im transsilvanischen Wald. Die letzte Dreiviertelstunde Autofahrt – schon hier hatte mein Handy kein Netz – schafft nur ein Allradfahr- zeug. Kommt das nicht mehr weiter, muss man noch eine halbe Stunde zu Fuß den Berg hochkraxeln, um die Hütte zu erreichen. Seit ein Bär die Vorräte im Keller geplündert hat, umgibt ein Elektrozaun das Häuschen, das man im Dunkeln lieber nicht mehr verlassen sollte. „Das wäre zu gefährlich“, sagt Alex Popa, der das Bären- spray draußen griffbereit trägt. Die meisten Reisen- den kommen wegen der Braunbären. Rund 8000 leben im Land. Doch auch Wildschweine, Füchse, Wölfe und Luchse sind auf der Lichtung schon gesich- tet worden. Davon zeugt das Gästebuch, das hier eher eine Art Logbuch ist: „6.15 Uhr: Ein prächtiger Bär frisst Gras, etwa 45 Minuten lang“, steht da zum Beispiel. „18.50 Uhr: Bär von rechts. Nach 30 Minuten taucht ein anderer auf. Zwei Männchen, die sich nicht füreinander interessieren.“ Oder: „9.45 Uhr: Als wir gerade gehen wollen, kommt eine Bärin mit ihrem Jungen – perfekt!“ Ich notiere erst einmal die Eichel- häher und lasse die letzten Tage gedanklich Revue passieren, während ich auf Pelziges warte. Bärenjungen und dichter Urwald Bären hatte ich gleich zu Beginn meiner Reise schon gesehen: an einer ehemaligen Jagdhütte eine Auto- stunde westlich der Stadt Brașov. Der Förster füttert die Tiere dort, versteckt Früchte, Kekse und andere Leckereien auf einer Lichtung, die Touristen aus der sicheren Hütte überblicken. Schon auf dem Waldweg dorthin kamen uns Bären überraschend nahe, taps- ten keine 20 Meter entfernt von der Touristengruppe durchs Laub, die Nasen witternd in die Luft gereckt. Der Jagdaufseher behielt sie im Blick, das Gewehr einsatzbereit in Händen. Auf der Lichtung dann immer wieder Bärenmütter mit ein bis zwei Jungen, die balgend über die Wiese tollten, sich sattfraßen und anschließend wieder im Wald verschwanden, um der nächsten kleinen Familie Platz zu machen. Glänzende Nasen schnüf- felten im Gras nach Süßem, tapsige Pranken kratzten

S o still ist es hier, dass das kleinste Geräusche laut erscheint. Meine Hose raschelt ungewohnt, als ich auf Socken die wenigen Schritte vom Eingang ins Esszimmer gehe. Sorgfältig verriegelt Guide Alex Popa die Holztür von innen. Ein leises Knarren im Gebälk, dann ist das Vogelgezwitscher draußen verstummt. In der gemütlichen Holzhütte ist es still wie in einem men- schenleeren Kino mit seinen geräuschschluckenden Wänden. So still, dass ich mich frage, ob meine Ohren noch funktionieren. Wann haben die das letzte Mal – gar nichts gehört? Unsere Kinoleinwand für heute Abend besteht aus riesigen Glasfenstern, die den Blick auf eine Lich- tung freigeben. Sie liegt, bewachsen von Gras und niedrigem Gebüsch, auf einer Hügelkuppe. Rings- herum taucht die Abendsonne die Făgăraș-Berge in warmes Licht. Der Gebirgskamm in den Südkarpaten erstreckt sich auf einer Länge von 70 Kilometern; seine größte Erhebung misst 2544 Meter. Angestrengt spähe ich Richtung Waldrand und suche die Lücken zwischen den Bäumen in der ersten Reihe nach Fell, Augen oder einer Bewegung ab. Sind sie schon in der Nähe? Wahrscheinlich nicht. Fünf Eichelhäher hüpfen unbeschwert über die Lichtung und suchen Fressbares, von Wachsamkeit keine Spur. Manche Gäste, sagt Alex Popa, hielten die Abge- schiedenheit der Bunea Wilderness Cabin nicht aus. „Einmal hatte ein Manager drei oder vier Nächte gebucht, wollte aber nach nur einer Nacht ganz dringend wieder weg“, schmunzelt der 41-Jährige. „Ständig starrte er auf sein Telefon, aber natürlich passierte da nichts.“ Handyempfang sucht man in der Umgebung der Hütte vergeblich, nicht einmal

Im Uhrzeigersinn (v. l. o.): Ein Feuersalaman- der und ein Braunbär im Urwald des Stramba- tals, durch das Guide Nicu Costan bei einer Wanderung führt. Auch umgestürzte Bäume und Pilze sind wichtige Teile des Ökosystems Wald. Vorige Doppelseite (v. l.): Die Bäume im Stram- batal sind schwindeler- regend hoch. Im Sattel genießen Reisende die Aussicht auf bewaldete Hügel.

56 NATIONAL GEOGRAPHIC TRAVELER 3/2025

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