WIR BEOBACHTEN SEHR KLEINE KINDER, WIE SIE VERSUCHEN, NAMEN VON INSELN AUSZUSPRECHEN, DIE SIE VERMUTLICH NIE BESUCHEN WERDEN.
Internationale Schiffe legen oft nur alle paar Jahrzehnte auf kleinen Inseln an, und ganze Dörfer – Horden von schreienden Kindern und Erwachsenen auf der Jagd nach Selfies – begrüßen Landungen wie „die Beatles, als sie 1964 in New York ankamen“, wie John, ein Passagier aus Texas, kommentiert. Dieses Gefühl der relativen Berühmtheit wird abgemildert, wenn man kleinere Kinder sieht, die sich hinter den Beinen ihrer Eltern verstecken und Angst haben, wir könnten Ungeheuer sein. Der Begriff ist hier wörtlich zu verstehen: Die Bugis, Sulawesi-Meisterbootsbauer und Pinisi-Hersteller, waren in vergangenen Jahrhunderten gewalttätige Händler, Piraten und Krieger. Kinder fürchten sich immer noch vor den Ankünften des „Bugis-Mann“ – Fremden auf Segelschiffen, so wie wir. Trotzdem ist unsere internationale Reisegruppe eine Kuriosität, die zum kulturellen Austausch in die Schulen der Insel eingeladen wird. Wir bringen die kreativen Bilderbücher mit, die SeaTrek zum Schutz der Meere veröffentlicht hat. Im Gegenzug bekommen wir die Nationalhymne auf Bahasa vorgesungen, der offiziellen Sprache Indonesiens, zusammen mit ande- ren Liedern in den Sprachen der unzähligen Inseln. „Sie werden an der Schule jeden Tag vorgetragen. Wir kennen alle den Text, aber wir wissen nicht, was er bedeutet“, lacht Arie und beobachtet sehr kleine Kinder, wie sie versuchen, Namen von Inseln auszusprechen, die sie vermutlich nie besuchen werden. Immerhin sind hier in einem Land mehr als 700 Sprachen über 5150 Kilometer entlang des Äquators verteilt. Auf der Insel Obilatu ist die internationale Sprache des Geldes laut genug, dass wir eine Karettschildkröte kaufen, die im flachen Wasser angebunden ist und in der Hitze langsam versengt. Es ist ein gutes Gefühl, die bedrohte Delikatesse vor dem Kochtopf zu retten und sie ins offene Meer zu entlassen. Die Mission von SeaTrek, die Natur zu schützen, besteht jedoch aus weit mehr. Die Segeltouren besuchen zahlreiche geförderte Projekte, einschließlich dem in einer bescheidenen Hütte auf der Insel Banggai, die von Korallen umgeben ist. Es widmet sich dem Schutz der Kardinalbarsche, die in dem Gebiet heimisch sind. „Sie werden gewildert und landen schneller im Aquaristikhandel, als sie sich in der Wildnis fortpflanzen können“, sagt Khalis Dwi, der Koordinator vor Ort für die balinesische Einrichtung Lini (indonesische Wohltätigkeitsorganisation zum Schutz der Fischbestände). Er zeigt mir ein paar winzige, zentimeterlange Arten, die in Becken nisten und hier
lange weiße Federn stehen nach oben und erinnern an einen Kopfschmuck zu Karneval. Der britische Naturforscher Alfred Russel Wallace, nach dem der Vogel benannt wurde (Semioptera wal- lacii) , wusste, dass er einen großen Fang gemacht hatte, als er die Art 1858 auf der Nachbarinsel Bacan entdeckte. Der Bänderparadiesvogel war ein wesent- licher Bestandteil seiner Reihe an Erkundungen, die ihn unabhängig von Charles Darwin dazu brachten, die Evolutionstheorie durch natürliche Selektion zu entdecken. Wer ihn endgültig umhaute, war allerdings ein Schmetterling: der goldene Vogelflügler. „Wallaces Aufregung war so groß, dass er sich unter den Baum setzen musste, wo er ihn mit dem Netz einfing. Er wurde beinahe ohnmächtig. Er hatte für den Rest des Tages Kopfschmerzen“, erzählt der SeaTrek-Naturforscher George Beccaloni, der auch Wallace-Spezialist ist. Nachdem wir angelegt haben und über die Startbahn der Insel geeilt sind („Flugzeuge landen hier nur ein paarmal am Tag, uns sollte nichts passieren“, sagt Arie grinsend), befinden wir uns genau an dem Ort, an dem die Entdeckung gemacht wurde. Wir sehen nur ein grau- braunes Weibchen, aber es ist so groß, dass es selbst eine Landeerlaubnis benötigen könnte. Zurück an Bord ergänzen nächtliche Vorträge diese wilden Erlebnisse. Ein zweistündiges Gespräch über Kakerlaken klingt nicht wirklich nach einem Publikumsliebling, aber George verliert im Laufe sei- ner fesselnden Geschichten nur einen der 24 Passagiere ans obere Deck, wo sich der Himmel über uns wölbt und die Sterne im Meer spiegeln. Die Aussichten bei Tag sind ebenso grenzenlos: Endlose Blautöne werden unterbrochen von entfernten, scheinbar unberührten grünen Inseln mit gezackten Silhouetten. Falls es Dörfer gibt, sind sie im Landesinneren, außer Sichtweite.
Von oben: Das Dorf Kabalutan auf den Togian-Inseln ist teilweise über dem Wasser gebaut. Im Dorfladen gibt es alles Nötige für die einheimische Bevölkerung.
62 NATIONAL GEOGRAPHIC TRAVELER 3/2022
Made with FlippingBook flipbook maker