WEITE WELT
Lima. In der Kooperative sind heute 46 Frauen aktiv, zudem bieten 15 Familien im Ort Homestay-Über- nachtungen an. Die Einnahmen aus dem Tourismus helfen, machen aber auch abhängig. Als während der Coronapandemie plötzlich keine Touristen mehr kamen, fehlte wichtig gewordenes Einkommen. Unterstützung beim Aufbau der Kooperative be- kam Francisca von der Stiftung Planeterra, die zum Reiseveranstalter G Adventures gehört und noch weitere Projekte im Bereich communitiy based tourism im Heiligen Tal angestoßen hat. Etwa in Cuyo Chico, wo Touristen an Empanada- und Töpferworkshops teilnehmen können. Oder der Parque de la Papa: Im sogenannten Kartoffel-Park haben sich fünf Quechua sprechende Gemeinden mit etwa 6500 Beteiligten zu- sammengeschlossen, um rund 1300 lokale Kartoffel- sorten zu kultivieren. „Uns geht es dabei vor allem um den Erhalt von Artenvielfalt, traditionellen Anbaumethoden und indigenen Bräuchen“, erzählt Daniel Pacco Condore im Besucherzentrum des Parque de la Papa, hinter sich ganze Regalwände voll mit einer bunten Aus- wahl des Kartoffelreichtums. „Die Kartoffel wächst auf 3500 bis 5000 Metern, ganz ohne Chemie und künstliche Bewässerung. Alpaka- und Lamadung reichen als Dünger.“ Die Kartoffeln, die im März nach der Ernte in Säcken aus Lamawolle auf Lamas in die Dörfer transportiert werden, unterscheiden sich in Aussehen und Verwendungsmöglichkeiten. Manchen schreibt man medizinische Heilwirkung zu, andere werden wie bereits zu Inkazeiten getrocknet und sind dadurch jahrzehntelang haltbar und einfacher zu transportieren. Eine besonders knubbelige Knolle mit vielen Warzen diene primär dazu, potenzielle Schwiegertöchter vor der Verlobung auf ihre Küchen- tauglichkeit zu testen. „Wer beim Schälen zu weinen beginnt, ist durchgefallen.“ Ein Korb mit Kostproben wird herumgereicht – und eine ganz besondere Krea- tion: Pisco Sour con Papa. Der Nationaldrink Perus wird hier mit einer rohen Kartoffel verfeinert. Während wir das schaumige Getränk verkosten, macht uns Daniels Kollegin Dalia mit dem andinen Glaubenssystem sumaq kawsay bekannt. Das Konzept der harmonischen Existenz basiert auf dem Ideal des Gleichgewichts zwischen drei eng verbundenen Bereichen: Alltägliches wie Menschen, Nutzpflanzen und domestizierte Tiere, Wildnis und Heiliges wie Berge, heilige Stätten und die Ethik. „Nur, wenn alle drei Bereiche in Einigkeit zusammenwirken, ist ein glückliches Leben möglich“, erklärt Dalia. Entspre- chend beginnt das Landwirtschaftsjahr im August mit Opfern für die Mutter Erde, bevor im September ausgesät wird. Weitere Opferzeremonien, an denen
auch Touristinnen und Touristen teilnehmen kön- nen, finden am 31. Mai statt, dem Tag der Kartoffel. Auf der Suche nach fruchtbarerem Boden kamen die Inka einst von Cusco ins Heilige Tal. An ver- schiedenen Orten finden sich daher heute noch alte Inkastätten, beispielsweise gut erhaltene Terrassen in der Nähe des Kartoffelparks bei Písac. Oder die Ruinen von Huchuy Qosco, zu denen eine schöne eineinhalbtägige Wanderung auf historischen Inka pfaden mit Übernachtung bei Einheimischen oder als organisiertes Zelttrekking führt – eine kürzere und einsamere Alternative zum berühmten Inka-Trail, bei dem man mit Anmeldezeiten von einem Dreiviertel- jahr rechnen muss. Huchuy Qosqo („kleines Cusco“) wurde wohl um 1420 vom Inkaherrscher Viracocha erbaut. Unser malerischer Zeltplatz für eine Nacht sind Terrassen, die auf 3650 Metern hoch über dem Urubamba-Tal liegen. Rund um den weiten Zeremo- nienplatz finden sich noch ein paar originale Mauer- reste. Nach umfassenden Restaurierungsarbeiten sind viele der Gebäude heute wieder zweistöckig und mit einem Strohdach gedeckt. Zeltplatz zwischen Ruinen Die Ruinen von Huchuy Qosqo sind nur zu Fuß erreichbar. Ein langer, steiler und staubiger Ab- stieg führt uns hinunter ins Tal und direkt zum Community Restaurant Parwa im Örtchen Lamay. Auch hier hat die Stiftung Planeterra geholfen – mit Anschubfinanzierungen, Trainings für Buchhaltung und Personalmanagement. Da zeitgleich mit unserer Reisegruppe auch Planeterra-Vertreter zu Gast sind, gibt es nach dem Mittagessen mit Produkten aus dem lokaleigenen Gemüsegarten ein rauschendes Fest. Eine Folkloregruppe mit Akkordeon, Trommeln und Hörnern aus echtem Horn, Muschelpfeifen und einem Flöte spielenden Schamanen sorgt für Stim- mung. Ehe ich reagieren kann, hat mir eine junge Frau, die als Kellnerin im Restaurant arbeitet, einen bunten, bauschigen Rock mit feiner Stickerei über- gestülpt und einen Hut aufgesetzt. Sie greift meine Hände und zieht mich in die Menge zum Tanzen. Es wird gelacht, gejauchzt, herumgewirbelt. Immer wie- der spritzt jemand aus litergroßen Flaschen Bier auf die Menge. Ich fühle mich etwas verkleidet und frage mich, wie viel hier Inszenierung zum Dank für die Geldgeber ist und wie viel echte Freude. Aber mit dem zweiten Bier – es gibt sie auch in kleinen Flaschen – fühlt sich alles gleich leichter an. Der nächste Tag verläuft in streng geregelten Bahnen: Der Besuch Machu Picchus steht an. Etwa 1,5 Millionen Menschen besichtigen jährlich Perus größte Tourismusattraktion. In der Hochsaison von
Von oben: Der zentrale Platz, Plaza de Armas, in Cusco mit der Kirche Iglesia de la Compañía, die im Inneren mit Gold reich verziert ist. Blick auf hohe, schneebe- deckte Gipfel auf dem zweitägigen Rückweg von der Ruinenstadt Choquequirao.
82 NATIONAL GEOGRAPHIC TRAVELER 3/2025
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