NATIONAL GEOGRAPHIC HISTORY

ED I TOR I AL

W enn ich an gotische Kathedralen denke, dann fällt mir vor allen anderen Notre-Dame in Paris ein, obwohl es natürlich noch eine Menge weiterer gotischer Kirchen in Europa zu bestaunen gibt – siehe unsere Titelgeschichte ab Seite 28. Aber Notre-Dame steht für so viel Erin- nerung, dass es beinahe schon ein geflügeltes Wort ist, dass die Geschichte dieses Bauwerks die Geschichte Frankreichs widerspiegelt. Während der Französischen Revolution missbrauchte man das Pariser Juwel als Wein- depot und „Tempel des höchsten Wesens, der Vernunft“, und ein Napoleon Bonaparte ermächtigte sich darin selbst zum Kaiser. Eine seltene Ausnah- me, denn Frankreichs Herrscher wurden zumeist in Reims gekrönt. Manch einer mag bei der Erwähnung der Kirche auch an den „Glöck- ner von Notre-Dame“ denken, und folgt man dessen Spuren bis zurück zu Victor Hugos Roman von 1831, dann entdeckt man, dass die Story von Quasimodo und der schönen Esmeralda nur einen von mehreren Handlungssträngen darstellt. Ein wesentlicher Teil des Buchs ist nämlich der Kathedrale selbst gewidmet, während sich vor den Augen des Lesers nach und nach ein Bild des spätmittelalterlichen Frankreichs aufbaut. Als 2019 die Kirche fast abbrannte, wurde Hugos Meisterwerk für einige Zeit erneut zum Bestseller. Das Bild oben zeigt ein Relikt aus dem klassischen Griechenland, und zwar einen korinthischen Helm (s. S. 98). Getragen wurde er von den Hopliten, Bürgern, die zur Verteidigung ihrer Städte in der Infanterie dienten. Sie waren bewaffnet mit Lanze, Kurzschwert und Schild. Dieser Helm ist eines der Objekte, von denen unsere Autoren meinen, dass sie als Errungenschaften der „materiellen Kultur“ den Lauf der Zeit veränderten.

RALPH KREUZER STELLVERTRETENDER CHEFREDAKTEUR NATIONAL GEOGRAPHIC HISTORY

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