NATIONAL GEOGRAPHIC HISTORY

GOETHES HAUS am Frauenplan in Weimar. Hier lebte der Dichter von 1782 bis zu seinem Tod im Jahr 1832.

In den 1782 erschienenen „Authentischen Briefen des Hauptmanns von Arenswald“ wird ein Selbstmord geschildert, der dem Werthers „nachempfunden“ ist: Auch Arenswald verbringt seinen letzten Abend am Schreibtisch, schreibt letzte Briefe, ordnet seine Papiere und regelt sei­ ne Angelegenheiten; auch hier ist es sein Diener, der ihn am nächsten Morgen in seiner Uniform und mit der Pistole zu Füßen vorfindet. In seinem Abschiedsbrief verwendet er ähnliche Worte wie

Werther: „Die entscheidende Stunde ist gekom­ men! Die Pistolen sind geladen.“ Der Herausgeber dieser Briefe erwähnt im Text einen anderen Fall, der dem von Arenswald ähnelt, ohne nähere An­ gaben zu Zeit, Person oder Ort zu machen: „Ein junger Mann […] aus gutem Hause und besserer Bildung nahm sich das Leben, weil seine Gelieb­ te einen anderen geheiratet hatte. Man fand ihn in einer Blutlache, und ‚Die Leiden des jungen Werther‘ lagen offen auf dem Tisch.“ Weitere Todesfälle Ein Fall wurde 1785 unter dem Titel „Ein neuer Wer­ ther“ veröffentlicht. Er beschreibt die „traurige Ge­ schichte von L...“, dessen Selbstmord für Aufsehen gesorgt hatte. Bevor er sich das Leben nahm, „hatte er sich rasiert, saubere Kleidung angezogen und sein Haar neu geflochten“. Am Abend schloss er sich in einem Zimmer ein, von dem er wusste, dass man ihn am nächsten Tag dort finden würde. Ein Diener „öffnetedieTürkaumeinenZentimeterundsahL... vollständig bekleidet, mit hochgestecktem Haar und kreidebleich [...]. Auf seinem Tisch lag der Werther aufgeschlagen auf Seite 218, auf der stand: ‚Sie sind geladen – Es schlägt zwölfe!‘“ und so weiter.“

STURM UND DRANG DER LITERARISCHE STIL des Sturm und Drang entstand als Reaktion auf die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vorherrschen­ den Ideale der Aufklärung. An die Stelle von Vernunft und mo­ ralischer Bildung trat die Ver­ herrlichung von Gefühl und Ide­ alismus. Einer der Wegbereiter

war der Dichter Friedrich Gott­ lieb Klopstock, dessen „Oden“ 1750 erschienen waren. Sein Na­ me wird im „Werther“ als damals allgemein verständliches Kürzel für tiefe Emotion angesichts der Natur zitiert. „Werther“ gilt als idealtypischer Roman des Sturm und Drang.

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