NATIONAL GEOGRAPHIC HISTORY

er diese Position nicht zum Aufbau einer persön­ lichen Machtstellung nutzen würde? Doch am Hof in Alexandria machte man sich keine Illusi­ onen. Es musste nur ein starker Mann kommen, dann würde es mit der Unabhängigkeit Ägyptens schnell vorbei sein. Ptolemaios XII. starb 51 v. Chr. Seine Tochter Kleopatra war zu diesem Zeitpunkt 18 Jahre alt. Sie hatte eine jüngere Schwester namens Ar­ sinoe und zwei jüngere Brüder, die, weil in der Familie der Ptolemäer alle männlichen Nach­ kommen Ptolemaios hießen, in der modernen Wissenschaft die Namen Ptolemaios XIII. und XIV. tragen. Auch der Name Kleopatra kam in der Dynastie häufig vor: Die heute berühmte Kleopa­ tra war bereits die Nummer sieben in der Reihe prominenter weiblicher Familienmitglieder. Machtkampf am Hof Der Vater hatte sich gewünscht, dass seine Kin­ der nach seinem Tod ein Leben in vorbildlicher Eintracht und Harmonie führen würden. Sicher­ heitshalber hatte er sie mit dem griechischen Titel „Philadelphoi“ ausgestattet. Doch geschwister­ liche Liebe, wie sie dieser Name zum Ausdruck bringen sollte, war es nicht, was das Verhältnis untereinander prägte. Ganz im Gegenteil: Von Anfang an herrschten erbitterte Machtkämpfe, für die vor allem die ehrgeizige Kleopatra verant­ wortlich war. Nach dem Willen des Vaters sollte sie die Herrschaft gemeinsam mit dem acht Jahre jüngeren Bruder Ptolemaios XIII. ausüben. Doch die junge Frau machte keine Anstalten, den Bruder, der noch ein Kind war, an der Macht zu beteiligen. Über ein Jahr lang regierte sie praktisch allein, wie offizielle Dokumente zeigen, in denen nur ihr Name und nicht der des Bruders auftaucht. Vielen im Palast war die resolute Kleopatra ein Dorn im Auge. Einflussreiche Höflinge rieben sich nicht so sehr daran, dass sie eine Frau war, als vielmehr daran, dass sie eine entschlossene Frau war, die in jeder Situation wusste, was sie wollte. Den Rat der Ratgeber brauchte sie nicht und sorg­ te damit für viel Frust. Die Rechnung wurde ihr im Laufe des Jahres 50 v. Chr. präsentiert. Promi­ nente Köpfe der Hofgesellschaft scharten sich um Ptolemaios XIII., stürzten Kleopatra zugunsten ihres Schützlings vom Thron und schickten sie aus der Hauptstadt Alexandria in die Wüste.

DER BRAND VON ALEXANDRIA ALS CÄSAR bei den Kämpfen vor Alexandria die ägyptische Flot- te in Brand setzte, griffen die Flammen angeblich auch auf einige Hafengebäude über: Dieser Stich zeigt das Feuer, bei dem auch die berühmte Bibliothek der Stadt zerstört worden sein soll. Laut Autoren wie Cassius Dio wurden in den Lagerräumen aber nur eini- ge Buchbände verbrannt, nicht der gesamte Bibliotheksbestand.

Doch das Wort „Aufgeben“ war in Kleopatras Vokabular nicht vorgesehen. In ihren Rückzugs­ orten in Oberägypten und Syrien schmiedete sie eifrig Pläne für die Rückkehr und den Weg zurück auf den Thron. Sie hatte bereits Kontakt zu arabischen Truppen aufgenommen, als sich plötzlich eine viel bessere Lösung bot. Diese nah­ te in Gestalt des damals mächtigsten Mannes von Rom. Gaius Julius Cäsar hatte im Bürgerkrieg, der in Rom tobte, gerade seinen großen römi­ schen Rivalen Pompeius in der Schlacht bei Pharsalos in Griechenland (48 v. Chr.) besiegt. Der geschlagene Feldherr Pompeius fuhr per Schiff nach Alexandria weiter, in der Erwartung, dort Asyl zu finden, weil er mit Ptole- maios XII. befreundet gewesen war. Doch in Ägypten war man über den Ausgang der Schlacht bereits infor­ miert. In realistischer Einschätzung der aktuellen Lage sagten sich die Hofkreise,

BILD DER KÖNIGIN In der Mitte dieser Öllampe soll die ägyptische Königin abgebildet sein (Musée d’Archéologie Méditerranéenne, Marseille).

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