So wie Napoleon das politische Europa auf den Kopf stellte und seit Jahrhunderten gefes- tigte Gleichgewichte und Herrschaftsformen infrage stellte, markierte auch Beethovens 3. Sinfonie einen Wendepunkt in der Musik- geschichte. Danach wurde Musik anders ge- dacht, bewegte sich in größeren Horizonten und wurde an der Geschichte gemessen. Um die Tragweite der Neuerung zu verstehen, ge- nügt eine einfache Zahl. Der erste Satz der Sinfonie Nr. 2, die nur ein Jahr zuvor geschrie- ben wurde, umfasste 363 Takte; das Anfangs- allegro der dritten 695 – fast das Doppelte. Erst in der 9. Sinfonie (Uraufführung 1824) unter- nahm Beethoven wieder etwas so Umfangrei- ches und Ehrgeiziges wie in der Nr. 3. Erst Verehrung, dann Verachtung Als das Werk 1806 veröffentlicht wurde, hatte Beethoven allerdings den Namen Bonaparte von der Titelseite gestrichen und stattdessen einen allgemeineren Titel gewählt: „Grande Sinfonia eroica“, komponiert zum Gedenken an einen großen Mann. Gedenken? Im Jahr 1806 hatte Napoleon gerade die preußische Armee be- siegt, und Russland war in den Krieg einge- treten, um den Vormarsch der französischen Armee aufzuhalten. Keiner seiner Feinde sah einen Weg, ihm etwas entgegenzusetzen, und dennoch sprach Beethoven von ihm in der Ver- gangenheit. Er feierte die Erinnerung an einen großen Mann, ohne ihn überhaupt zu erwähnen, so, als wäre er bereits verstorben. Es war, als wäre der Bonaparte, dem er seine Sinfonie Nr. 3 wid- men wollte, eine andere Person. Der Wendepunkt in dieser Beziehung von (zunächst) Verehrung und (später) Hass war Napoleons Entscheidung, sich 1804 selbst zum Kaiser zu krönen. Eine Geste, die der Republi- kanismus im Komponisten als Verrat an den
ERSTE SEITE der Sinfonie Nr. 3 von Beethoven mit der gewalt- sam ausgestrichenen Widmung „Intitolata Bonaparte“.
Z wei trockene Akkorde wie Kano- nenschüsse. Dann gleitet eine edle und warme Melodie über die Celli, bevor sie in einem Crescendo der Intensität auf Hörner und Klarinet- ten übertragen wird, um schließlich majestä- tisch im gesamten Orchester zu explodieren. So beginnt Beethovens Sinfonie Nr. 3. Der Über- lieferung zufolge schrieb der Komponist das Werk 1803 in Wien und nannte es zunächst „Sinfonia grande intitolata Bonaparte“. Zu diesem Zeitpunkt hatte Napoleon gerade den Krieg gegen die Mächte des Ancien Régime begonnen, der Europa mehr als ein Jahrzehnt lang verwüsten sollte, doch für Beethoven war dieser ausländische General eher ein Befreier als ein Eindringling.
DER REPUBLIKA- NISCHE KAISER Nach seinem Staats- streich baute Napo- leon immer mehr Macht auf, bis er sich schließlich zum Kaiser erklärte. Büste von Bonaparte in seiner Zeit als erster Konsul. Accademia di San Luca, Rom.
CHRONOLOGIE BOMBEN, KRIEG UND DIE MUSIK
1770 Ludwig van Beethoven wird in Bonn geboren. In seiner Jugend begeistert er sich für die republika- nischen Ideale, die in die Stadt getragen werden.
1792 Beethoven zieht nach Wien, wo er eine Zeit lang Unterricht bei Joseph Haydn nimmt. In dieser Stadt lebt er bis zu seinem Tod.
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