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den etablierten Hierarchien. Andererseits ist es bezeichnend, dass Beethoven 1814 die Kantate „Der glorreiche Augenblick“ den „Monarchen und Staatsmännern Europas“ widmete, die sich auf dem Wiener Kongress versammelt hatten, um in Europa die politische Ordnung der Zeit vor der Französischen Revolution und Napo- leon wiederherzustellen. Ein Jahr zuvor hatte er „Wellingtons Sieg (oder die Schlacht bei Vito- ria)“ komponiert, um an die Niederlage Napo- leons in der Schlacht von Vitoria zu erinnern, die ihn zum Rückzug aus Spanien zwang. Am Anfang missverstanden In der effektvollen Komposition (mit Kanonen- schüssen) verarbeitete Beethoven die Hymnen „God save the King“ und „Rule Britannia“ als offensichtliche Anspielung auf die Nationalität des Herzogs und das englische Publikum, für das das Werk gedacht war. Bemerkenswert ist, dass „Wellingtons Sieg“ eines der erfolgreichs- ten Werke Beethovens zu seinen Lebzeiten war. Dasselbe gilt für andere Werke, die wir heute als „zweitklassig“ betrachten, wie das „Septimi- no“ (ein Werk für sieben Instrumentalisten aus MUSIKALISCHES PORTRÄT EINES HELDEN M usikwissenschaftler haben die Struktur der 3. Sinfonie als Darstellung des Lebenswegs eines Helden interpretiert. In seiner jüngsten Biografie über Beethoven bezeichnet Jan Swafford das Ende des ersten Satzes der Sinfonie als „die anschau- lichste Darstellung des Helden als Anführer. Die Musik steigt in einer Welle […] bis zu einem Tutti fortissimo auf. Der Effekt ist wie der einer Menschenmenge, die sich hinter dem Anführer versammelt und sich aufmacht, eine große Tat zu vollbringen, um schließlich einen Sieg davonzutragen.“ Laut Swafford soll der nachfolgende Trau- ermarsch die Bestattung der Gefallenen inmitten von Trauerbezeigungen und Ge- denkfeiern darstellen, könnte aber auch die Beerdigung des geopferten Helden sein, der in den folgenden Sätzen wieder- geboren wird.

DER EROBERER. General Bonaparte, Sieger in der Schlacht von Arcole. Gemälde von Antoine-Jean Gros, 1796. Schloss Arenberg.

DANIEL STEINER / RMN-GRAND PALAIS

eine Verherrlichung der Heldenfigur, losge- löst von jeglichem historischen und indivi- duellen Bezug. Trotz allem war Beethoven kein überzeugter Revolutionär und nahm eine ambivalente Hal- tung gegenüber dem Absolutismus ein. Es ist beispielsweise immer noch paradox, dass sei- ne bahnbrechende 3. Sinfonie in den Mauern des aristokratischen Palastes des Fürsten von Lobkowitz uraufgeführt wurde, einem böh-

IN „ERINNERUNG AN EINEN GROSSEN MENSCHEN“ Titelseite der Sinfonie Nr. 3, „Eroica“, mit ihrem endgültigen Titel, aus dem der Name Bona- parte verschwunden ist. Das Werk ist nun dem Prinzen Lobkowitz gewidmet, dem Mäzen des Komponisten. Gesellschaft der Musik- freunde, Wien.

misch-österreichischen Generalma- jor und Kunstliebhaber. In seinem Alltag in Wien verkehrte Beethoven mit Grafen, Fürsten, Herzögen und Erzherzögen, zu denen auch eini- ge seiner wichtigsten Förderer ge- hörten. Die Aristokraten sicherten ihm ein Gehalt zu, gaben ihm Auf- träge oder stellten ihn als Musikleh- rer für ihre Sprösslinge ein. Zwar verkehrte Beethoven mit ih- nen auf Augenhöhe, manchmal sogar mit übertriebener Selbstgefälligkeit, doch gebot der gesunde Menschen- verstand einen gewissen Respekt vor

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