Bergsteiger

Topthema ∕ Vinschgau

Sesvenna, ebenfalls ein wunderbares Wan- der- (und Skitouren-)gebiet mit der gemüt- lichen Sesvennahütte mittendrin, die ins- besondere für ihre hervorragende Küche bekannt war. Ja, war, leider. Im Sommer 2025 ist die Hütte wegen umfassender Sa- nierungsmaßnahmen geschlossen, an- schließend wird die Pacht neu vergeben. Vom Nachbargipfel der Spitzigen Lun steigen wir ein Stück ab und bekommen einen guten Eindruck vom Sonnenberg. In sanftem Auf und Ab führt der Pfad nach Nordosten ins Matscher Tal hinein. Die Ve- getation hat sich merklich verändert, viele prächtige Silberdisteln sind zu sehen. »Das

Innere, der Blütenboden, ist essbar und er- innert an Artischocken«, erzählt Tiziana. »Früher waren die Distelherzen sehr be- liebt bei den Hirten, die sie auf ihr Butter- brot gelegt haben. Eine willkommene Er- gänzung zu ihrer sonst sehr einfachen Kost.« Mittlerweile ist die Distel geschützt. Ein anderes Exemplar der alten Küchen- schule können wir wenig später kosten: Erdbeerspinat. An langen Stielen hängen feingezackte Blätter und knallrote Früchte, die optisch eher an Himbeeren erinnern. Der recht fade Geschmack hat aber tat- sächlich etwas von zu früh geernteten Su- permarkt-Erdbeeren und passt nicht so recht zum extravaganten Aussehen. An einer Alm lädt uns ein Kind auf einen Hol- lersaft ein, gegen eine kleine Spende. Es ist eine willkommene Erfrischung, denn längst brennt die Sonne unerbittlich vom Himmel. Die Etappe endet im ersten Bergstei- gerdorf Südtirols. Von Matsch aus ließen sich unzählige Wanderungen unternehmen, aber wir wollen am nächsten Tag weiter hinauf in die Ötztaler Alpen und zur Ober- etteshütte. Nicht auf dem direkten Zustieg, sondern mit Umweg über die Saldurseen, Südtirols höchstgelegenes Seenplateau, auch Klein-Tibet genannt. Inmitten beein- druckender, aber sehr karger Bergkulisse liegen die farbenprächtigen Seen, manche rötlich, manche strahlend blau. Eine uner- schrockene Familie geht baden. Uns reicht der Anblick. Einfach & gut Über einen teils etwas erodierten Weg geht es schließlich einen steilen Hang entlang zur Oberetteshütte. Bei Apfelstrudel und Kaffee auf der sonnigen Hüttenterrasse werden wir uns wenig später fragen, ob wir wirklich dort entlanggelaufen sind. Zum Abendessen gibt es Spinatnocken und Po- lenta mit Tomatensoße – für alle. Auch auf der Tageskarte finden sich mehr vegetari- sche Gerichte als solche mit Fleisch. »Weil es besser für die Umwelt und auch für uns Menschen ist, haben wir 2023 angefangen, weniger Fleisch zu kochen«, erklärt Hütten- wirtin Karin Heinisch, die auch Teil der Arbeitsgruppe Bergsteigerdorf ist. Die Nachfrage nach vegetarischem Essen war zuvor gestiegen. »Und eigentlich sind die Leute oft ganz froh, wenn es nicht jeden Tag Fleisch gibt. Viele unserer Gäste blei- ben etliche Tage – eine Familie ist aktuell schon seit über einer Woche da.« Weitere Vorteile: weniger Aufwand in der Küche,

wenn nur ein Gericht gekocht werden muss. Und es bleibt weniger übrig. Auch Karin und Edwin setzen auf Regionalität und nut- zen bevorzugt Bio-Produkte. Vom Bach- saibling über das Gemüse bis zum Ziegen- quark kommt vieles aus dem Matscher Tal. Seit 16 Jahren bewirtschaften Karin und ihr Mann die Oberetteshütte. Als sie sie übernommen hatten, war das Schutz- haus nach häufigem Pächterwechsel ziem- lich heruntergewirtschaftet und es war insgesamt wenig los. Das hat sich längst geändert. Das Berghaus ist beliebt bei Fa- milien und als alpiner Stützpunkt. Die Paradetour führt zur Weißkugel, Grenz- berg zwischen Italien und Österreich und zweithöchster Gipfel der Ötztaler Alpen. Bergführer Josef Plangger aus dem Langtauferer Tal nordöstlich der Weiß- kugel wird uns begleiten – und biegt gleich zu Anfang vom überschwänglich markier- ten offiziellen Weg ab. Denn er kennt eine angenehmer zu gehende Alternative auf Schafsteigen. Rötliches Gestein und klei- ne Gletscherseen prägen den Weg zum Matscher Ferner, wo wir die Steigeisen anlegen. »In diesem Jahr liegt noch unge- wöhnlich viel Schnee«, sagt Josef und packt das Seil aus. Nur im untersten Teil ist das Eis blank, bald ist guter Stapf- schnee erreicht. Am Hintereis-Joch zeigt Josef auf den Weg, der von der Schönen Aussicht Hütte heraufkommt, ein sehr beliebter Anstieg, auch als Skitour. Nach der unberührten Natur, durch die lediglich eine schmale Trittspur führte, wartet am Wintergipfel – »bei den meisten endet die Skitour hier« – eine unschöne Überraschung: Eierschalen und Pfirsichkerne, Gutti-Papierl und Alu- folien-Fetzen, Kabelbinder und sonstige Plastikreste liegen überall auf dem blan- ken Eis herum. Ein bisschen Plastik auf- sammeln und schnell weiter zum Gipfel. In einfacher Kletterei gelangen wir zum modern-künstlerisch gestalteten Kreuz. Aufziehende Wolken verdecken den Blick ins Tal. Sie umspielen die Felsen und sor- gen für noch alpineres Ambiente. Außer uns ist keine Menschenseele weit und breit. In drei Tagen vom hübschen Glurns hierauf in die alpine Einöde: so viele Kon- traste in so kurzer Zeit, das gibt es nicht an vielen Orten.

Unterwegs in »Klein-Tibet«: Beim Übergang zur Oberetteshütte lohnt sich ein Blick zurück auf die Saldurseen.

Vor einigen Jahren entdeckte Franziska Haack in der Kraut-Haupt-

stadt Laas etwas Besonderes: Sauerkraut-Gorgonzola-Pizza.

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09/25 BERGSTEIGER 29

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