Bergsteiger

Wissen & Personen ∕ Betretungsrecht

Mehr als 80 Prozent der Uferfläche des Wörthersees ist privat.

Freie Natur oder privates Eigentum?

als nicht widerrechtlich zu betrachten ist, wenn es dem Nutzer nicht möglich ist, zu erkennen, dass der Eigentümer das Betre- ten des Grundes nicht gestattet. In den französischen Gebirgsgruppen wird das Betreten der freien Natur wiede- rum ähnlich liberal gehandhabt wie in der Schweiz. Dort darf für eine Nacht sogar in Schutzgebieten wie dem Pyrenäen Natio- nalpark biwakiert werden, wenn man min- destens eine Stunde von der nächsten Berghütte oder von der Nationalparkgren- ze entfernt ist. Allerdings muss man sich gut über regionale Bestimmungen erkundi- gen. So kann es zum Beispiel im National- park Calanques bei Waldbrandgefahr strik-

D ie Älteren können sich be- stimmt noch an die wilden Szenen im Jahr 1986 rund um den Wackersdorfer Forst erinnern. Links-Auto- nome kämpften damals zusammen mit (eher konservativen) Einheimischen auf unangemeldeten »Waldspaziergängen« gegen die atomare Wiederaufbereitungs- anlage (WAA) und beriefen sich damals auf das freie Betretungsrecht der Natur, wel- ches in Bayern in der Verfassung fest ver- wurzelt ist (siehe Kasten). Dieses Bayerische Gesetz, sowie das noch weitreichendere »Jedermannsrecht« in Skandinavien nimmt aktuell eine Öster- reichische Initiative von Alpenverein (ÖAV), Naturfreunden und der Arbeitskam- mer (AK) zum Vorbild, um in unserem Nachbarland eine »Verfassungsbestim- mung in Sachen Betretungsrecht« zu for- dern. Denn es komme in Österreich immer öfter zu ungerechtfertigten Wegsperrun- gen, betonen die Naturfreunde. Wie aber schaut die rechtliche Situation in den an- deren Alpenländern aus? Jedermannszutrittsrecht vs. kein Recht auf Natur Noch freier als die Bayern dürfen sich die Eidgenossen in ihrer Bergwelt bewegen. Denn in der Schweiz gibt es das, dem skan- dinavischen Vorbild verwandte, »Jeder- mannszutrittsrecht«, dass sogar das ge- plante Biwakieren oberhalb der Waldgrenze und außerhalb von Schutzgebieten bei rücksichtsvollem Verhalten gestattet. Ein-

geschränkt wird das freie Betretungsrecht auch in der Schweiz in Nationalparks, wo Wegegebot herrscht. Zum Vergleich: In Deutschland gibt es im Nationalpark Berch- tesgaden kein Wegegebot, in der Kernzone des Nationalparks Bayerischer Wald hin- gegen schon. Von den liberalen Schweizer Verhält- nissen können italienische Naturliebhaber nur träumen. Denn dort gibt es nicht einmal ein Recht auf Zugang zur freien Natur und es ist somit auch nicht einklagbar. Nach ita- lienischem Recht ist das Betreten von frem- dem Grund nur in spezifischen Fällen, wie zur Ausübung der Jagd und Fischerei, ge- stattet. Darf auf Privateigentum befindliche freie Natur also nicht von jedermann betre- ten werden? In ganz wenigen Fällen haben sich italienische Gerichte mit dieser Prob- lematik beschäftigt und kommen zum Schluss, dass es zwar kein allgemeines Recht auf »Zugang zur Natur« gibt, aber das Betreten von Privateigentum immer dann

te Zugangsbeschränkungen geben. Priviligierter Seezugang

Die Initiative von ÖAV, AK und Naturfreun- den weist übrigens darauf hin, dass 82 Pro- zent der österreichischen Waldflächen in privater Hand sind. Ebenfalls 82 Prozent des Ufers des Wörthersee in Kärnten stel- len Privatgrund dar. Auch an Bayerischen Seen wie dem Wörthsee in Oberbayern drängeln sich an Wochenenden Erholungs- suchende auf den wenigen öffentlich zu- gänglichen Freiflächen. Freilich dürfte es utopisch sein, private Uferbereiche zu ent- eignen und für die Öffentlichkeit freizuge- ben. Vielleicht gelingt es aber auch in Ös- terreich, ein Grundrecht auf Natur in der Verfassung zu verankern.

BAYERISCHES BETRETUNGSRECHT »Der Genuss der Naturschönheiten und die Erholung in der freien Natur, insbesondere das Betreten von Wald und Bergweide, das Befahren der Gewässer und die Aneignung wildwachsen- der Waldfrüchte in ortsüblichem Umfang ist jedermann gestattet.« (Art. 141 Abs. 3 Satz 1 der Bayerischen Verfassung) Dieses Recht erlaubt also grundsätzlich das Betreten von allen Teilen der freien Natur ohne Erlaubnis des Grundstücksberechtigten oder einer Behörde. Dieses Recht kann von speziellen Schutzverordnungen, wie zum Beispiel zeitlich befristeten Wildschutzgebieten allerdings einge- schränkt werden.

08/22 BERGSTEIGER 39

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