Wissen & Personen ∕ Sicherheit
Der Übergang vom Wander- ins Kraxelgelände ist oft fließend.
das Gesäß zum Boden. So sind die Füße ohne Belastung und die Reibung der Schuhsohlen funktioniert nicht«, hat Rei- ner Taglinger immer wieder beobachtet. Seine Faustregel: Wenn möglich (bis zum zweiten Grad) frontal und mit aufrechtem Oberkörper absteigen. Anfänger und Men- schen, die Probleme mit Ausgesetztheit haben, drehen sich am besten frühzeitig mit dem Kopf zur Wand, klettern also »rück- wärts«. So ist der Abgrund weniger prä- sent, allerdings sind die Tritte nicht ganz so leicht zu erkennen und es geht langsamer voran. Achtung: Stein! Je brüchiger der Fels, umso mehr Vorsicht ist beim Klettern gefragt. Leichtes Anklop- fen zeigt, ob Griffe oder Tritte locker sind. An zweifelhaften Stellen ist es ratsam, den eigenen Körper eher nach oben zu schieben und zu stützen als zu ziehen. Dabei sollte man noch mehr aus den Beinen arbeiten. Wenn sich doch einmal ein Stein gelöst hat, unbedingt mit einem lauten »Achtung: Stein!« warnen. »Hat ein losgetretener Stein erstmal über etliche Meter Fahrt auf- genommen, kann es ziemlich übel enden. Gruppenmitglieder sollten daher eher nah beieinander kraxeln, natürlich ohne den anderen auf die Finger zu steigen oder sich gegenseitig zu behindern«, sagt der Berg- profi. Vor und nach schwierigen Passagen, die man besser einzeln klettert, warten die anderen am besten außerhalb der Schuss- linie.
Die Frage nach dem Helm stellt sich für Reiner Taglinger kaum noch. Er macht heu- te viele Touren mit Helm, die er früher oh- ne gegangen ist. »Die modernen Modelle sind so leicht und luftig, dass sie einen kaum beeinträchtigen. Außerdem ist in den Bergen heute viel mehr los und wo Verkehr ist, da können Steine runterkommen. Das gilt übrigens nicht nur für Menschen, auch Wildtiere wie Gämsen und Steinböcke tre- ten Steine los.« Regelmäßig das Gelände zu beobachten hilft, Gefahren frühzeitig zu erkennen. Und was tun, falls einen doch die Angst packt? Wenn Panik aufkommt: Ruhe bewahren, tief durchatmen und sich einen Überblick verschaffen. Handelt es sich um einzelne Schlüsselstellen, können sich Gruppenmitglieder gegenseitig helfen, in- dem sie sich Tritte und Griffe ansagen. »Be- vor man sich aber immer weiter in schwie- riges Gelände und vielleicht in eine gefährliche Situation manövriert, sollte
man stehen bleiben und gegebenenfalls umdrehen«, betont Reiner Taglinger. »Kommt man alleine nicht weiter, können vielleicht andere Bergsteiger bei Orientie- rung oder Trittfindung helfen. Ist niemand da und weiß man auch nach einer Ver- schnauf- und Beruhigungspause nicht wei- ter, bleibt nur, die Rettung zu alarmieren.« Solide Selbsteinschätzung und gute Tourenplanung helfen, unangenehme und brenzlige Situationen zu vermeiden. Auch einfache Kletterei wird bei Nässe schnell schwierig, besonders wenn Flechten die Felsen bedecken und rutschiger machen. Ist Regen oder gar Gewitter angesagt, ist eine Kraxeltour daher nicht das Richtige. Sind die Felsen noch von früheren Nieder- schlägen nass oder hat man bereits im Auf- stieg Angst oder Probleme, gilt der alte Leitsatz, den auch Reiner Taglinger nicht oft genug wiederholen kann: »Lieber ein- mal zu früh umgedreht als zu spät oder gar nicht mehr.«
SERIE: SICHERHEIT AM BERG In insgesamt 12 Ausgaben erfahren Sie in einer Kooperation von Bergsteiger und VDBS mehr zur Sicherheit in den einzelnen Bergsportdisziplinen. 1 Tourenplanung / 2 Wandern / 3 Trailrunning / 4 Bergsteigen / 5 Klettersteig / 6 Alpine Kletterei / 7 Hochtour I: Gehen mit Steigeisen / 8 Hochtour II: Gehen am Seil / 9 Schneeschuhtour / 10 Skitour I: Technik und Spuranlage / 11 Skitour II: Lawinenkunde / 12 Wandern im Frühjahr
52 BERGSTEIGER 08/22
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