Touren & Regionen / Zillertal
S o prickelnd ist das Wasser, dass man im ersten Augen- blick nicht weiß, ob es nun kochend heiß oder eisig kalt ist. »Raus aus dem Wasser! Warum erkläre ich dir später.« Der zweite Tauchgang für die Zehen bringt genauere Mess-Ergebnisse: Das Wasser des Wesend- lekarsees ist kalt. Aber es besteht keine Gefahr, im Gegenteil, es ist ausgesprochen erfrischend und belebend. Vor allem nach der langen Wanderung vom Schlegeisspei- cher zur Olpererhütte und an den Südhän- gen über das Friesenberghaus hierher. Da ist es kein Wunder, wenn die Füße heiß gelaufen sind. Für eine Pause am Wesend- le-Beach ist genau die richtige Zeit, selbst mit Eiswasser. Wahrscheinlich ist es erst ein paar Wochen her, dass die letzten Schnee- und Eisreste abgeschmolzen sind. Eis war und ist ein wichtiger Faktor im Zemmtal und seinen Seitentälern. Drüben auf der anderen Talseite leuchten die Glet- scher im Dutzend: Schlegeiskees, Furt- schaglkees, Waxeggkees, Hornkees, Schwarzensteinkees, Floitenkees sind die wichtigsten. Natürlich sind sie alle kleiner und dünner geworden in den letzten Jahr- zehnten, aber sie existieren noch. Auch auf den einigermaßen sonnengeschützten Ost- und Südseiten über dem Zemmtal gibt es Eisreste. Das Stampflkees unter dem Schrammacher ist sogar noch richtig groß und bildet den Ursprung des Zamser Bachs. In ihn wird unser Fußbadwasser münden und dann gemeinsam mit dem Zemmbach, der von der Berliner Hütte herunterkommt,
und der Floite in den Ziller fließen. Kurz vorher statten sie Ginzling einen Besuch ab, dem ersten und einzigen Ort im Zemmtal, Gründungsmitglied der Bergsteigerdörfer und perfekter Ausgangsort für unzählige Touren im Naturpark Zillertaler Alpen. Bus ist Trumpf Ginzling ist auch unser Tagesziel. Doch wie wir dort ankommen wollen, ist noch offen. Entweder auf einem langen Höhenweg oder mit etwas Schummeln. Ein paar Mal kann man ins Tal absteigen und die restli- che Wegstrecke öffentlich fahren. »Öffent- lich« ist gerade in der Hauptsaison eine hervorragende Idee. Nicht nur dass man sich die Mautgebühr zum Schlegeis spart, man muss sich auch keine Gedanken um einen Parkplatz machen, kann am Rückweg flexibel in den Bus zusteigen und passt sich vor allem ins Grundprinzip der Bergsteiger- dörfer ein: Nachhaltigkeit. Seitdem die kleine Hängebrücke nord- östlich der Olpererhütte im Internet hypt, verstärkt durch zwei Coronasommer mit Urlaub in den Alpen, reicht selbst der Park- platz am Schlegeis oft nicht mehr aus. Tja, die Landschaft und den Neubau der Ol- pererhütte will man gesehen und das Bild der Hängebrücke möchte auch jeder haben. Selbst wer Hütte und Brücke entsagen kann, hat mit der Wanderung zum Pfit- scherjoch, der Neumarkter Runde unter dem Schrammacher, dem Friesenberghaus, dem Hohen Riffler oder – wie wir heute – dem Petersköpfl eine beachtliche Auswahl an leichten und mittleren Wanderungen.
»Kein bisschen wärmer«, lautet das Urteil beim nächsten Fußbad ein paar Tage spä- ter am Eissee. Auf 2700 Metern gelegen ist er gemeinsam mit der Mörchnerscharte das einzige Wanderziel über der Berliner Hütte. Sanft erschlossen Berliner Hütte und Ginzling, die beiden gehören zusammen und haben bald die dritte goldene Hochzeit gefeiert. Nach- dem im Mittelalter ein paar Schwaighöfe im Zemmtal entstanden waren, hatte man sie mit dem Einsetzen der Kleinen Eiszeit ab dem 17. Jahrhundert wieder aufgege- ben. Wer noch ins Tal kam, suchte Grana- te, ging auf die Jagd oder wechselte auf dem Saumweg übers Pfitscherjoch nach Italien. Erst mit dem Bau der Berliner Hütte 1878 wurde der Tourismus ange- kurbelt und auch für die Einheimischen wurde Ginzling wieder attraktiver. Dass es in Ginzling heute keine Hotelburgen gibt, ist ein Glück. 2008 wurde Ginzling zu einem der Gründungsmitglieder der Bergsteigerdörfer. Was denn sonst, möch- te man denken, bei der Lage. Eisig muss auch der Floitengrund ge- wesen sein. Die perfekte U-Form zeigt an, wie das Floitenkees einst die Talflanke be- arbeitet und den Talgrund ausgeschürft hat. So lang ist der Weg von Ginzling bis in den Talschluss, dass die meisten Wan- derer ins Tälertaxi steigen oder für einen Tag lang zum Mountainbiker werden. Selbst vom Materiallift der Greizer Hütte bleiben noch knapp zwei Stunden zur Hütte oder vier bis fünf Stunden auf den Dreitausender Gigalitz. Für den allerdings muss man dem Motto von Ginzling ge- recht werden und sollte Bergsteiger sein.
Blick auf die Olpererhütte über dem Schlegeisspeicher
Sehr abwechslungsreich, genau richtig für heiße Tage und eine wilde Szenerie – Andrea Strauß findet, dass Ginzling und seine Täler wie maßgeschneidert sind.
56 BERGSTEIGER 08/22
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