Bergsteiger

Wissen & Personen ∕ Die Zukunft der Hütten

L age, Lage, Lage. Was heute das Mantra der Immobilienbran- che ist, muss schon die Altvor- deren vor 136 Jahren bewogen haben, über dem wildromanti- schen Kaisertal eine Berghütte zu errichten. 1901 erwarb die Sektion Oberland des DAV ein »Unterkunftshaus« am Zahmen Kaiser und betreibt die Vorderkaiserfeldenhütte seitdem als beliebten Stützpunkt. Klar, dass die »Ur-Hütte« mit ihren Anbauten und dem Schlafhaus ihre besten Jahre hinter sich hat. Als nun die Sanierung anstand, wurde schnell klar: Nochmal aufstocken, nochmal anbauen – das ergibt keinen Sinn. Im Mai kam der Bagger und rückte zumin- dest dem Haupthaus zu Leibe, was viele Fans mit Wehmut erfüllte. Doch eine schrittweise Sanierung wäre teurer gewesen als ein Ersatzbau – und weniger nachhaltig. Eine neue Ära Die Lebensdauer vieler Hütten, vor allem aus der Pionierzeit, ist am Ende. Eine Er- kenntnis, zu der gerade zahlreiche Alpen- vereinssektionen kommen. So ist die Vor- derkaiserfeldenhütte nicht die einzige Baustelle des Alpenvereins München & Oberland. Auch das DAV-Haus Spitzingsee wurde bis in den Sommer hinein kernsa- niert und erhielt mit seiner Holz-Hack- schnitzel-Heizung und Photovoltaik auf dem Dach gleich ein neues Energiekonzept. »Wir wollten weg von der alten Ölheizung und fossiler Energie und werden künftig – wann immer möglich – die Sonne nutzen«, erläutert Franz Theuerkorn vom Ressort Hütten und Wege der Sektion München. Für das DAV-Haus Hammer bei Fisch- bachau wird gerade geprüft, ob bei der ge- planten Modernisierung Hydrothermie – al- so Wärmegewinnung aus Grundwasser mittels einer Wärmepumpe – zum Einsatz kommen kann. An der Reintalangerhütte im Wetterstein wiederum steht eine behutsa- me Generalsanierung an. Dabei soll das Wasserkraftwerk auf den neuesten Stand ertüchtigt werden. Und die Lamsenjochhüt- te im Karwendel hat im Frühsommer eine neue Photovoltaikanlage für die Stromge- winnung bekommen, um das Flüssiggas- Blockheizkraftwerk bei der Energieproduk- tion zu unterstützen. Außerdem werde »die Lams« mit so genannten Datenloggern aus- gestattet, die den Strom-, Wasser- und Wär- meverbrauch protokollieren und die Res- sourcennutzung auf lange Sicht optimieren sollen, so Kathrin Hosemann, Projektmana- gerin Hüttenbau der Sektion Oberland.

Die traditionellen Berghütten, von denen viele noch aus dem vorvergangenen Jahr- hundert stammen, in die Moderne zu füh- ren, ist eine Herkules-Aufgabe. So hat sich der Alpenverein München & Oberland im November 2024 »Hüttengrundsätze« ver- ordnet, auf deren Basis er seine alpinen Häuser in ökonomischer, ökologischer und sozialer Hinsicht noch nachhaltiger machen will. »Die Hütten betreiben wir umweltver- träglich, klimaschonend, effektiv und effizi- ent.« Das ist die Leitlinie. Baumaßnahmen sollen nur durchgeführt werden, wenn sie die Bausubstanz sichern, die Energieversor- gung optimieren oder den Hüttenbetrieb überhaupt aufrechterhalten. Und: Besser sei es, Bestehendes zu sanieren und zu reparie- ren statt Ersatzbauten hochzuziehen. Manchmal allerdings geht der Weg an Neu- bauten nicht vorbei. Nämlich dann, wenn bei einer Sanierung mehr CO2 emittiert wird als bei einem Neubau. Deswegen soll es bei größeren Projekten nun immer vorab eine Emissionsbilanzierung geben. Die Gäste werden sich ebenfalls um- stellen müssen, wenn der Alpenverein Mün- chen & Oberland seine Hütten nachhaltiger betreiben will. So werden Mehrbettzimmer mit drei bis sechs Plätzen Standard. Mas- senlager sind demnach ein Auslaufmodell, genau wie Zweierzimmer. Weil Wasser auf vielen Hütten immer knapper wird, gibt es Duschmöglichkeiten nur noch, wenn genug da ist, warmes Wasser nur dann, wenn das Nass mit regenerativer Energie erwärmt werden kann. Die Hüttengrundsätze sehen in der Gastronomie ein »einfaches, ausge- wogenes und überwiegend vegetarisches Angebot« vor. Weniger Fleisch, regionale

CO2-Äquivalenten werden durch Lebens- mittel und Getränke verursacht, hier sind vor allem tierische Produkte zu nennen. »Die Hütten nehmen in unserem Klima- schutzkonzept eine zentrale Rolle ein und sind bedeutende Multiplikatoren für nach- haltiges Handeln«, betont Robert Kolbitsch, Leiter des Ressorts Hütten und Wege. Jeder Beitrag zählt Die technische Modernisierung der Alpin- Gebäude kostet sehr viel Geld. Die Kern- sanierung des Spitzingsee-Hauses schlug mit mehr als 5,5 Millionen Euro für die Sektion München zu Buche. Für eine Grundsanierung steckte die Sektion Ober- land zwischen 2017 und 2020 6,4 Mio. Euro in ihre Falkenhütte im Karwendel. Und allein für den Ersatzbau der Vorder- kaiserfeldenhütte rechnen die Oberländer mit weiteren Investitionen von mindestens 5,2 Millionen Euro. Die Mittel stammen zum großen Teil aus Mitgliedsbeiträgen. Aber selbst, wenn das Land oder der Bun- desverband Zuschüsse geben, kann die Fi- nanzierung nur gestemmt werden, wenn Geld obendrauf kommt. Deshalb hat die Sektion Oberland für die Erneuerung der Vorderkaiserfeldenhütte eine Spendenak- tion ins Leben gerufen. Wer möchte, kann so einen persönlichen Beitrag zum Erhalt der alpinen Infrastruktur leisten und Teil dieses Zukunftsprojekts werden. Eine na- mentliche Würdigung an der Ehrenwand, an Zimmern oder Betten macht die Unter- stützung sichtbar. Sogar ganze Bereiche der Hütte – etwa die Stuben oder das geplante Selbstversorgerhaus, das neben dem Hauptgebäude insbesondere für Familien

»Die Hütten betreiben wir umweltverträglich, klimaschonend, effektiv und effizient.«

Zutaten und simple Zubereitung sollen un- nötige Umweltbelastungen vermeiden. Auch der Deutsche Alpenverein als Dachverband arbeitet an einem »Wegweiser Hütten 2030«. Im Jahr 2030 wollen der DAV und seine mehr als 350 Sektionen nämlich klimaneutral agieren. Die Hütten tragen mit rund einem Viertel zu den Ge- samtemissionen der Vereinsaktivitäten bei. Das zeigen die jüngsten Zahlen der Emissi- onsbilanzierung. Der Löwenanteil geht da- bei nicht auf das Konto der Energieversor- gung: Denn drei Viertel des Ausstoßes an

und Jugendgruppen entstehen soll – kön- nen gewidmet werden. »Gemeinsam ma- chen wir die Hütte fit für die nächsten 100 Jahre. Jeder Beitrag zählt, um diesen beson- deren Ort für kommende Generationen zu bewahren«, sagt Dr. Matthias Ballweg, der Vorsitzende der Sektion Oberland. Ende 2026 soll der Ersatzbau fertig sein. Auch den legendären Blick auf die Inntal-Schlei- fe bei Kufstein und den Wilden Kaiser wird man von der neuen Panorama-Terrasse aus wieder genießen können. Ein Besuch lohnt sich also – allein schon wegen der Lage.

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