Bergsteiger

Die Brücke von Asfeld bei Briançon ermöglicht es, die Durance zu überqueren. In der Ferne ist der Mont Chaberton zu erkennen.

matischen Vorzüge des Südens zu schätzen, das schroffe Landschaftsprofil mit tiefen Schluchten und hohen Pässen möglicher- weise weniger. Ein Glück, dass es auch be- quemere Ausweichrouten gibt. Eine von ihnen folgt der Durance, ab Sisteron dann der Route Napoléon. Sie entspricht in etwa jenem Weg, den der Korse nach seiner Ver- bannung (Elba) zurück nach Paris und an die Macht (für hundert Tage) nahm. Vom Wildfluss zum Nutzwasser Die Durance entspringt im Nirgendwo un- weit vom Col de Montgenèvre (1850 m), dem seit Cäsars Zeit benutzten Übergang ins Piemont. Bis zur Rhone-Mündung bei Avignon ist das Bergwasser stattliche 323 Kilometer unterwegs. Kleine Kuriosität: Es könnte glatt noch etwas mehr sein, hätten die Landvermesser einen der drei obersten Zuflüsse (Clarée, Guisane und Cerveyrette) als Quellfluss deklariert und entsprechend benannt. Sie sind nämlich allesamt länger und führen auch mehr Wasser. Bei Brian- çon ist dann Schluss mit dieser Haarspal- terei, die vereinten Bäche machen sich auf den Weg ins Mittelmeer, zunächst als alpi- ner Wildfluss. Hinter Embrun endet die Freiheit unvermittelt. Europas größter Erd- damm (124 Meter hoch, 600 Meter lang) riegelt hier das Tal ab. Durch den Bau

(1955–1961) verloren 1500 Menschen ihre Heimat, sie mussten in das Retortendorf Savines-le-Lac umziehen. Mehr Glück hat- ten die Damen im originellsten Friseursa- lon Frankreichs, die Demoiselles coiffées über dem Ostufer des Sees, prosaisch deutsch: Erdpyramiden. Gigantische 1200 Millionen Kubikme- ter Wasser fasst der 29 Quadratkilometer große See. Die werden nun für den Dienst am Menschen eingesetzt, gleich vierfach: als Schutz gegen Hochwasser, zur Trink- wasserversorgung, zur Bewässerung der

landwirtschaftlich genutzten Flächen am Unterlauf der Durance und zur Stromer- zeugung. Die Turbinen im Kraftwerk am Fuß der Staumauer versorgen das Départe- ment Hautes-Alpes mit der Hauptstadt Gap zu hundert Prozent mit Elektrizität. Adieu les Alpes! Hinter den Ausläufern der Montagne de Lubéron verlässt die fleißige Durance end- gültig den Alpenraum, nachdem sie auf ih- rem langen Unterlauf immer wieder Was- ser an die Umgebung abgeben musste. Ihr größter Zulauf ist der Verdon, der am Col d’Allos (2240 m) entspringt und unterhalb von Castellane den Grand Canyon du Ver- don durchläuft: 20 Kilometer lang, bis 700 Meter tief. Überwältigend. Eine Sensation ist auch Avignon, die Stadt, an der sich Durance und Rhône zu- sammentun. Sie ist Unesco-Welterbe, und dazu gehört natürlich die berühmteste Brü- cke des Landes: le Pont d’Avignon, Mitte des 14. Jahrhunderts erbaut, seit 1660 bloß noch Ruine – und ein unsterblicher Ohr- wurm: Sur le pont d’Avignon, on y dance … Frankreich halt, mais oui.

Die Durance entspringt in Hautes-Alpes.

Autor Eugen E. Hüsler fühlte sich schon immer angezogen vom Süden: die Sonne, die Wärme und das Licht. Einfach herrlich!

09/25 BERGSTEIGER 87

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