NATIONAL GEOGRAPHIC SPECIAL

DER ALTE ORIENT

Bevor Sargon die Macht ergriff, war er Mund- schenk des Königs von Kisch, einer Stadt im Nor- den Mesopotamiens nahe dem heutigen Bagdad. Er stürzte ihn und zog gegen Lugalzagesi ins Feld, den großen Rivalen im Süden und Befehlshaber über ganz Sumer. Sargon profitierte vom Streit der legendären sumerischen Stadtstaaten Ur und Uruk untereinander. Er gewann, nahm Lugalzagesi gefangen und legte ihm ein Joch um den Hals. In einer feierlichen Inschrift steht geschrieben, Sargon habe 34 Schlachten für sich entschieden auf seinem Marsch zum Persischen Golf, wo er „seine Waffen im Meer wusch“. EIN WELTREICH ENTSTEHT Sargon entsandte akkadische Gouverneure in die sumerischen Städte und ließ deren Verteidigungs- mauern niederreißen. Er rührte die sumerische Religion nicht an, machte aber Akkadisch in ganz Mesopotamien zur Landessprache. So schaffte er physische und sprachliche Barrieren ab, einte das Reich und förderte den Handel weit über Mesopota- mien hinaus. Geschäfte mit Indien brachten Perlen, Elfenbein und andere Schätze im Austausch gegen heimische Waren wie Wolle und Olivenöl. Die Kauf- leute nutzten Edelmetalle wie Kupfer und Silber als Währung. Die Münzprägung war noch nicht erfun- den; stattdessen wog man das Metall, um seinen Wert zu bestimmen. Mit den Steuern, die Sargon auf den Handel erhob, entlohnte er seine Soldaten ebenso wie Künstler und Schriftgelehrte, die seine Taten in Skulpturen und Inschriften glorifizierten. Sargon von Akkad herrschte gut 50 Jahre lang und begründete eine Dynastie, die bis zur Regent- schaft seines Enkels Naram-Sin bestand. Sein Ver- mächtnis wirkte noch weit darüber hinaus: Viele spätere Herrscher gestalteten und führten ihr Reich nach Sargons Vorbild. ◆ LINKE SEITE: Tell Brak, eine von Mesopotamiens ältesten Städte. RECHTS: Die Kalzitscheibe zeigt Sargons Tochter Enheduanna, die Hohepriesterin des Tempels von Ur.

N ach seinem Sieg über die Sumerer berief Sargon seine Tochter Enhedu- anna (2285–2250 v. Chr.) zur Hohepriesterin der Göttin Inanna in Ur – ein bedeutsames Amt, da der Mondgott Nanna der Schutz- herr des Stadtstaates war und seine Tochter Inanna (in Akkad Ischtar genannt) als Göttin der sexuellen Liebe und des Krieges verehrt wurde. Wie andere mesopotamische Gott- heiten war Inanna wechselhaft: Sie brachte Fruchtbarkeit und Fülle, aber auch Tod und Zerstörung. Enheduanna gilt als erste namentlich bekannte Schriftstellerin, deren Werke überliefert sind. In einer ihrer vielen Hymnen preist sie die Göttin als „einzigartige Frau, die eine / die hasserfüllte Worte an die Boshaften richtet / die sich unter hell glän- zenden Dingen bewegt / die rebellische Län- der bekriegt / und in der Dämmerung ganz allein das Firmament verschönert“. ZEITGENOSSEN Enheduanna, die Königstochter

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