DER ALTE ORIENT
dem verehrten Stadtgott Marduk. Kyros’ größter Akt der Barmherzigkeit war wohl die Befreiung der Juden, die Nebukadnezar II. ins Exil nach Babylon gezwungen hatte. Kyros erlaubte ihnen die Rück- kehr in ihr Gelobtes Land. Die Juden priesen den persischen Herrscher dafür in ihren Schriften als Erretter: Gott habe Kyros die Macht verliehen, andere Königreiche zu unterwer- fen, damit er sie nach Jerusalem zurückführe, wo sie ihren Tempel wiederaufbauen könnten. EIN VERMÄCHTNIS DER MENSCHLICHKEIT Kyros starb ungefähr 529 v. Chr. auf einem Feldzug gegen aufsässige Nomadenstämme am Kaspischen Meer. Selbst die Griechen schätzten den persischen Herrscher noch Jahre später – trotz der erbitterten Kriege gegen dessen Nachfolger. Mehr als 150 Jahre nach Kyros’ Tod setzte ihm der griechische Autor Xenophon in seinem Werk Kyrupädie ein literari- sches Denkmal : „Er würdigte seine Untertanen und kümmerte sich um sie wie um seine eigenen Kinder“, schrieb Xenophon, „sie wiederum verehrten ihn wie einen Vater.“ Die Worte inspirierten mindestens einen der US-amerikanischen Gründerväter: Thomas Jef- ferson besaß gleich zwei Ausgaben der Kyrupädie. Noch heute wird Kyros’ Erbe in Ehren gehalten. Am Sitz der Vereinten Nationen in New York steht eine Replik des sogenannten Kyros-Zylinders. Der in Keilschrift verfasste Text auf dem Zylinder berichtet von Kyros’ Gnade, wozu die Bereitschaft gehört, besiegten Völkern ihre Traditionen zu belassen – in damaliger Zeit ein unerhörter Akt, da Herrscher sich eher als die Besitzer von Land und Einwoh- nern betrachteten. Der Zylinder wurde 1879 von britischen Archäologen ausgegraben und gilt in gewisser Weise als erste Menschenrechtscharta. Gerade weil er Mut zum Pluralismus hatte, gilt Kyros als „der Große“ unter den Größten der Geschichte. ◆ LINKS: Kyros besiegte den hier illustrierten König Krösus. RECHTE SEITE: Kyros erlaubte den Juden, aus dem Exil in ihre spirituelle Heimat Jerusalem zurückzukehren.
ZEITGENOSSEN König Krösus, der Rivale
L ydien in Kleinasien war eines von vielen Ländern, die Kyros eroberte. König Krösus von Lydien zählte zu den reichsten Herrschern der Antike. In seinem Reich lagen große Vor- kommen von Elektrum, einer natürlichen Legie- rung aus Gold und Silber. Krösus ließ daraus Münzen herstellen – eine Praktik, die etwa 100 Jahre zuvor in Lydien und Griechenland auf- gekommen war. Krösus’ Reichtum machte ihn legendär. Dem griechischen Geschichtsschreiber Herodot zufolge fragte Krösus einst den Athener Staatsmann Solon, ob Geld glücklich mache. Solon erwiderte: „Wer große Reichtümer sein Eigen nennt, ist dem Glück nicht näher als der, der hat, was er zum täglichen Leben braucht.“ Krösus’ Niederlage gegen Kyros betrachtete Herodot als Beweis dafür, dass Reichtum allein tatsächlich keine Erfüllung bringt.
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DENKER, HERRSCHER, MACHER
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