TITELTHEMA | MENTALE GESUNDHEIT
HINTERGRUND Wenn mehr und mehr Arbeiten zum „Kick“ wird Kein Ende in Sicht: Professorin Ute Rademacher hat ein Buch über die Sucht nach Arbeit geschrieben.
Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung aus dem vergangenen Jahr ein höheres Risiko der Arbeitssucht auf. Die Rahmenbedingungen und Anforderungen, die an Führungskräfte gestellt werden, scheinen Arbeitssucht also zu gefährden. Die Befristung des Arbeitsvertrages zeigte interessanterweise keinen bedeutsamen Effekt. In früheren Studien gab es Hinweise dar- auf, dass Arbeitssucht in bestimmten Branchen eher zu finden ist, zum Beispiel im Journalis- mus oder in Gesundheitsberufen und sozialen Berufen. Die einen bekommen von zu viel Stress am Arbeitsplatz ein Burn-out, die anderen verfallen in die Arbeitssucht – warum reagieren Menschen so unterschiedlich? Rademacher: So unterschiedlich sind Burn-out und Arbeitssucht ja gar nicht. Beide Konzepte beschreiben ein ungesundes Verhältnis zur Arbeit und ungesundes Arbeitsverhalten, die auf Dauer zu negativen körperlichen und psychi- schen Konsequenzen führen. Wie wird Arbeitssucht behandelt, wie findet man zurück zu einem „normalen“ Verhältnis zur Arbeit? Rademacher: Je nach Dauer und Grad der Arbeitssucht ist der Weg daraus – wie bei anderen Süchten auch – allein nur sehr schwer möglich. Unterstützung aus dem beruflichen und privaten Umfeld kann Anregungen geben oder einfordern, sich mit diesem Thema ernst- haft auseinanderzusetzen. Bei der Abhängigkeit von Alkohol oder anderen Substanzen fällt dies im Unternehmen meist eher auf und hat mehr negative Seiten als hochengagierte Kollegen. Be- triebsräte und das Gesundheitsmanagement im Unternehmen sind hier gefragt, um auf Angebo- te wie Coaching oder Selbsthilfegruppen hinzu- weisen. Häufig hilft aber nur der Aufenthalt in einer spezialisierten psychosomatischen Klinik mit gezielten therapeutischen Interventionen, um aus dem Teufelskreis herauszukommen und eine andere Art des Arbeitens zu erlernen.
Viele Menschen arbeiten gerne und viel – wann wird es zu viel? Ute Rademacher: Neben objektiven Kriterien, wie zum Beispiel den rechtlichen Regelungen des Arbeitsschutzes, spielen bei dem Erleben von „zu viel“ natürlich auch subjektive Faktoren hinein: Wie gesund und fit bin ich? Wie stark ist mein Leistungsmotiv ausgeprägt? Oder eben auch: Habe ich die Tendenz, mich grundsätz- lich bei der Arbeit zu verausgaben und über ein gesundes Maß hinaus zu arbeiten oder neige ich gar zur Arbeitssucht? Dann kann das persönliche Gefühl – „Ich brenne für meine Arbeit“ – von dem abweichen, was dauerhaft für uns gesund ist. Was sind Symptome eines ungesunden Verhältnisses zur Arbeit? Rademacher: Grundsätzlich kann man die Eigenschaften der Weltgesundheitsorganisation WHO für Abhängigkeit auf das Arbeiten über- tragen. Dazu zählen als Erstes der Kontrollverlust: Ungesund ist ein scheinbar unausweichliches Verlangen, viel Arbeit auf sich zu nehmen und sich in ihrer Arbeit zu verlieren. Dazu kommt die Dosis- steigerung: Es wird immer mehr und mehr Arbeit übernommen, um den erwünschten Erlebnis- zustand, den „Kick“, zu erleben. Ungesund ist es, auch krank zur Arbeit zu kommen, selbstverständ- lich auch am Wochenende oder im Urlaub oder heimlich zu arbeiten. Gleichzeitig werden andere Verpflichtungen und Lebensbereiche, zum Bei- spiel Freunde, Familie, Hobbies, zu Gunsten der Arbeit dauerhaft vernachlässigt. Schädliche Folgen für einen selbst wie Schlafstörungen und Kopf- schmerzen sowie andere – die Familie, die zu kurz kommt – sind der Person bewusst, werden aber in Kauf genommen. Wenn es Menschen schwerfällt, nicht zu arbeiten, ohne sich dann leer, nutzlos, un- ruhig oder unzufrieden zu fühlen, deutet dies auf ein ungesundes Verhältnis zur Arbeit hin. Gibt es Berufsgruppen, die besonders gefährdet sind? Rademacher: Menschen mit Führungs- und Personalverantwortung weisen gemäß einer
Ute Rademacher ist Professorin für Wirtschafts- psychologie an der Unversität für angewandte Wissenschaften in Emden/Leer.
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IHK Magazin Rhein-Neckar 08 | 2023
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