GROSSBRITANNIEN
INTERVIEW „Flexibilität und lokale Präsenz sind entscheidend“
Brexit als Bewährungsprobe: Warum Unternehmen auf dem britischen Markt heute mit neuen Rahmenbedingun- gen, regulatorischer Komplexität und operativen Heraus- forderungen konfrontiert sind – und wie lokale Präsenz, Anpassungsfähigkeit und strategische Partnerschaften den Marktzugang sichern können. Wir sprachen mit Timo Stibitz, CEO der TS Steel Trade GmbH, über seine Erfah- rungen. Herr Stibitz, wie hat sich das Großbritannien-Geschäft in den letzten Jahren für TS Steel Trade entwickelt? Timo Stibitz: Großbritannien zählt zu den über 30 Märk- ten weltweit, in denen wir aktiv ist. Seit dem Brexit hat sich das Geschäft dort in einem anspruchsvollen, aber sta- bilen Rahmen entwickelt. Trotz einiger Herausforderungen konnten wir unsere Marktpräsenz durch enge Zusammen- arbeit mit unserem lokalen Vertriebspartner aufrechterhal- ten und punktuell sogar ausbauen. Gab es Herausforderungen? Welche? Und wie haben Sie diese gemeistert? Stibitz: Eine zentrale Herausforderung nach dem Brexit waren die veränderten Zoll- und Logistikbedingungen. Die Einführung zusätzlicher Dokumentationspflichten sowie veränderte Lieferzeiten verlangten nach schnellen Anpas- sungen in unseren internen Prozessen. Zudem mussten wir uns auf Unsicherheiten im rechtlichen und regulatori- schen Umfeld einstellen. Diese Herausforderungen haben wir durch enge Abstimmung mit unserem britischen Agenten und gezielte Optimierungen entlang unserer Lie- ferkette gemeistert. So konnten wir flexibel reagieren und die gewohnte Servicequalität für unsere britischen Kunden aufrechterhalten.
Und ergaben sich Chancen auf dem UK-Markt und wie haben Sie diese genutzt?
Stibitz: Trotz aller Her- ausforderungen bot der
UK-Markt nach dem Brexit auch Chancen. Besonders in Nischenmärkten, in denen Flexibilität und internationale Beschaffungskompetenz gefragt sind, konnten wir unsere Stärken ausspielen. Unsere Unabhängigkeit und unser breites Netzwerk haben es ermöglicht, kurzfristige Liefereng- pässe bei britischen Wettbewerbern
Timo Stibitz, CEO der TS Steel Trade GmbH in Walldorf
zu nutzen und neue Kundenkontakte zu knüpfen. Die Rolle unseres lokalen Partners war hierbei entscheidend, um Vertrauen aufzubauen und gezielt auf Marktbedürf- nisse zu reagieren. Welche Ratschläge würden Sie anderen Unternehmen beim Bearbeiten des UK-Markts mitgeben wollen? Stibitz: Unser wichtigster Ratschlag: Eine starke lokale Präsenz – sei es durch eine Niederlassung oder einen kom- petenten Vertriebspartner – ist im UK-Markt nach wie vor entscheidend. Vertrauen, Marktkenntnis und Nähe zum Kunden lassen sich aus der Ferne nur schwer ersetzen. Gleichzeitig empfehlen wir, die internen Prozesse früh- zeitig an regulatorische Änderungen anzupassen und eine gewisse Flexibilität in der Lieferkette einzuplanen. Unter- nehmen, die Nähe und Anpassungsfähigkeit mitbringen, haben auch nach dem Brexit gute Chancen auf nachhalti- gen Erfolg im britischen Markt.
Arbeitsmarkt: Fachkräftemangel und neue Hürden Ein zentrales Argument der Bre- xit-Befürworter war die Kontrolle über Migration. Tatsächlich ist die Zuwanderung aus EU-Staaten stark zurückgegangen. Gleichzeitig stieg die Nettozuwanderung aus Drittstaa- ten auf Rekordniveau – ein Effekt, den viele nicht erwartet hatten. Der Fachkräftemangel hat sich verschärft, insbesondere in Pflege, Gastronomie und Bauwesen. Dabei ist das neue Punktesystem für Arbeits- visa komplex und schreckt viele
hat London als Finanzzentrum an Bedeutung verloren. Viele Banken und Investmentfirmen verlagerten Teile ihrer Geschäfte nach Frank- furt, Paris oder Amsterdam, um weiterhin Zugang zum EU-Binnen- markt zu haben. Dabei bleibt die regulatorische Unsicherheit ein Problem. Viele Dienstleister müssen nun in mehreren Ländern separate Lizenzen beantragen, was Kosten und Komplexität erhöht. Der Verlust der automatischen Anerkennung von Berufsqualifikationen erschwert zudem den grenzüberschreitenden Austausch von Fachkräften.
Zwischen 2021 und 2023 gingen die britischen Exporte in die EU um 27 Prozent zurück, die Importe sogar um 32 Prozent. Besonders betroffen sind kleine und mittlere Unternehmen, die mit neuen Zoll- formalitäten, Ursprungsnachweisen und Lieferverzögerungen kämpfen. Trotz des Freihandelsabkommens bestehen zahlreiche nichttarifäre Handelshemmnisse, die den Waren- verkehr erschweren. Der Dienst- leistungssektor zeigt sich dagegen robuster. Finanzdienstleistungen, IT und kreative Industrien konnten sich teilweise behaupten. Dennoch
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IHK Global Business 07/2025
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