MeinHaus&Grund_Wohnträume

TITELTHEMA 29

L i ebese rkl ärung an me ine a l t e Ka t e : e i n e f o t og r a f i s c h e Spu r e n s u c h e

einer Momentaufnahme zu tun haben, darüber klärt uns unsere Gastgeberin, Susanne Dohrn, seit 2010 Mitglied von Haus & Grund Tornesch, auf. Die freie Journalistin ist Autorin eines bemerkenswerten und zugleich verstö- renden Buches über die Ursachen für das Artensterben vor unserer Haustür. Über die Monokulturen der industriel- len Landwirtschaft, die die biologische Vielfalt und damit eine der Grundfes- ten unserer Zivilisation zerstören. Vor diesem Hintergrund wirken die vielen Kräuter, die verschiedenen Gräser und die rund dreihundert Pflanzen wie ein Warnungszeichen. Sie sollen ein weithin sichtbares Signal geben, um der zuneh- menden Umweltzerstörung durch miss- verstandene Struktur-, Entwicklungs- und Agrarpolitik Einhalt zu gebieten und so für den Erhalt des natürlichen Lebensraums einzutreten. Die promovierte Historikerin wollte die ursprüngliche, ländliche Architektur des großelterlichen Hauses erhalten. Das motivierte sie, Mitte der Neunzigerjahre aus einem pulsierenden Berlin der Nach- kriegszeit in ihre Heimat zurückzukeh- ren. Mit einem durch die Kultur- und Großstadtprägung gänzlich veränderten Blick für die bauliche Anlage der Kate, wie sie erzählt. Unsere Wahrnehmung von Architektur – von Stabilität, Nütz- lichkeit und Schönheit – sei etwas, was in den Tiefen unseres Unterbewusst- seins entstehe und durch Lebenserfah- rung einem steten Wandel unterliege. Sie habe nach der Rückkehr plötzlich Details am Haus entdecken können, die ihr vorher nie aufgefallen waren. Details, deren Ergründung man nach Belieben nachgehen oder die man in ihrem gegenwärtigen Objektzustand belassen könne. Hierzu gehört beispiels- weise ein zugemauerter Rundbogen an der rückwärtigen Fassade, der einstmals als Stalleingang für das Nutztier diente.

Die Eisenbahner-Kate um 1900

Neue Fenster, neues Dach: die 1950er

Der Windfang verschwindet: die 1960er

mutter schlief – auf dem Rest des Dach- bodens lagerte der Torf zum Heizen – wurden zwei Zimmer plus einem klei- nem Flur, Tribut an wachsenden Platz- bedarf. Parallel erhielt das Haus neue Fenster, die Rundbögen fielen weg und es wurde hellgrau verputzt. Die geduckte Heimeligkeit der Kate ging verloren. Der Windfang verschwindet: 1960er Als nächstes wurde der Windfang abge- rissen. Einst sollte er den Nordwind fern halten, falls jemand das Haus durch die Vordertür betrat. Da man fast immer den

Panoramascheiben: die 1970er

Die Sprossenfenster kehren zurück: 2010

Susanne Dohrn erläutert uns die komplexen Zusammenhänge zwischen unserer Persönlichkeit und unseren vier Wänden. Und warum diese so viel über uns verraten.

W

ahrlich, dieses Haus war keine Schönheit. Als wir es übernah-

Handtücher auf den Fensterbänken, um das Tauwasser aufzunehmen. Der Ersatz entsprach dem neuesten Stand der Tech- nik: doppeltverglaste Thermopenschei- ben, eine Erfindung aus den USA. Endlich war es imHaus imWinter warm und Fensterputzen ging auch viel schnel- ler. Für den Charme der Kate waren die Panoramafenster der Todesstoß. Zeitzeugen: gemauerte Rundbögen Einzig die nach Süden gelegene Rück- seite des Hauses öffnet ein Zeitfenster ins 19. Jahrhundert. So wie die Klinkerwand hat einst das ganze Haus ausgesehen. Die Rundbögen oben und unten zeugen von einem Fenster und zwei Eingängen zum Stall. Wann die Öffnungen zuge- mauert wurden, werde ich nicht mehr herausfinden können. Die weißen Farb- reste belegen, dass das Haus weiß ge- strichen worden war, bevor man es verputzte. Den weißen Anstrich haben wir abbeizen lassen. Das Wichtigste zuerst: 2010 Fenster sind die Augen eines Hauses, und zu jedem Baustil gehört ein typi- sches Design. Inzwischen hat die alte Kate ihre grün-weißen Sprossenfenster zurück erhalten. Leider konten wir die Rundbögen nicht wieder herstellen, weil der Putz sich nicht abschlagen lässt. Im Efeu nisten Spatzen und der Zaunkönig. Als nächstes würden wir gerne den klei- nen Windfang zur Straße wieder auf- bauen. Dr. Susanne Dohrn

men, war der Eingang zur Straße zuge- mauert und Panoramafenster blickten mit toten Augen zur Straße. Weiß ver- putzt glich es einem Neubau und war dafür doch viel zu klein. Mit jeder Verän- derung der vergangenen 130 Jahre hatte es mehr von seinem Charme verloren. Alte Familienfotos dokumentieren die Veränderungen. Seit wir in dem Haus leben, haben wir der alten Kate Stück für Stück ihre Seele zurück gegeben und der Stadt einen kleinen Teil seiner Ge- schichte. Der Ursprung: 1888 Die Seelensuche beginnt mit dem unda- tierten Ausriss aus der Lokalzeitung. Das Foto zeigt die Kate einer Eisenbahnerfa- milie in Tornesch: 1888 gebaut aus dem roten Klinker der örtlichen Ziegelei, Sprossenfenster mit gemauerten Rund- bögen, weiße Simse, ein Spitzdach mit rundem „Ochsenauge“ unter demGiebel und einem Windfang vor dem Eingang zur Straße. Ein heimeliges Haus mit den harmonischen Proportionen des Golde- nen Schnitts, wie wir beim Ausmessen festgestellt haben. Ein neues Dach: 1950er Jahre Als ich einzog, war der Charme der Kate erloschen. In den 1950ern hatte sie ein neues Dach erhalten. Spitzer und höher wurde es. Aus der Dachkammer, in der Anfang des 20. Jahrhunderts die Groß-

sowie eine pylonähnliche Regenabwas- serableitung für das Dach des Winter- gartens. Susanne Dohrn ist überzeugt davon, dass man zu solchen Verwen- dungsarten nur gelangt, wenn man sich intensiv mit der eigenen Immobilie beschäftigt. Vergleichbar mit der Aus- einandersetzung mit der Natur, ihren Phänomenen und Prozessen. Einfluss auf die Transformation eines Hauses zu nehmen, ist ein ganzheitlicher Vorgang. Neben spielerischem und forschendem Erkunden stehe die sinnliche Wahrneh- mung, das kreative Gestalten, medita- tive Zugänge und das Experimentieren im methodischen Mittelpunkt. Die Besitzerin der kleinen Kate empfiehlt daher jedem, der ein altes Haus erwirbt oder erbt, erst einmal mindestens ein Jahr darin zu wohnen und seinen Artefakt-Charakter auf sich wirken zu lassen. Viele Eigentümer stehen vor der Entwicklung ihres Häuschens und wis- sen eigentlich gar nicht so recht, was sie wollen. Oder ein größerer Umbau steht an, aber so richtig steht noch nicht fest, wie dieser aussehen soll. Zwar steht >>

Errichtet hat das Haus Susanne Dohrns Urgroßvater väterlicherseits, indem er Steine verwendete, die in der ehema- ligen Ziegelei „Roter Lehm“ im sechs Kilometer entfernten Klein Nordende gebrannt und in einem Tornescher Bahnwärterhäuschen verbaut worden waren. Baustoffrecycling par excellence, wie es heute als Vorbild dienen könnte. Überschüssige Steine wurden im Üb- rigen nicht einfach entsorgt, sondern kurzerhand im Garten vergraben.

Was Hobbyarchäologen und „Trümmerfrauen“ verbindet

Zeitfenster: Rundbögen im Mauerwerk

So avancierten die spätere Eigentüme- rin und ihr Lebenspartner, der Künstler Walther Weiss, unverhofft zu Hobby- Archäologen und fühlten sich beim Freilegen und Abtragen ein wenig wie „Trümmerfrauen“. Entstanden sind aus den restlichen Steinen ein pyrami- denförmiges Gartenkunstwerk, eine Miniatur-Felsformation als Schlupfwin- kel für Vögel, Insekten und Amphibien

Hintereingang nutzte, waren Windfang und Haustür zur Straße überflüssig. Bis die Haustür zugemauert wurde, hielt ein Vorhang aus dickem Stoff Kälte und Zug- luft ab, die nun nahezu ungehindert von Norden ins Haus drängten. Der Flur da- hinter war gerade lang genug für zwei Kinderbetten. Im Winter wuchsen Eis- blumen an den Fenstern. Panoramascheiben: 1970er Jahre In den 1070er Jahren ließ meine Groß- mutter die einfach verglasten Sprossen- fenster ersetzen. Im Winter lagen stets

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