Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Implikationen, die mit der Einführung des Todestriebs durch Freud einhergingen. Aus unverkennbar lacanianischer Perspektive entwickelt er folgende Thesen. 1. Die Untersuchung der Triebe muss die Ebene der Strukturierung des psychischen Apparates berücksichtigen, weil der Trieb durch die Art und Weise, wie er den Apparat durchfließt, auf „Dämme“ trifft und an das Lustprinzip gebunden ist, dem er sich unterwerfen muss. 2. Die Unterdrückung des Triebs impliziert seine Unterwerfung unter Regeln („Ordnung“), die aus dem Ödipuskomplex und der Annahme der Kastration resultieren, die den Trieb mit dem Wunsch und mit Eros verbinden. Das Verlangen nach unvermitteltem „Genießen“ [jouissance] in Verbindung mit dem omnipotenten narzisstischen Streben, den Wunsch auszulöschen, gehorcht hingegen dem Todestrieb. Dies bedeutet, dass die Verarbeitung des Triebs gescheitert ist. 3. Eros und Thanatos sind als unterschiedliche Formen der Arbeit eines einzigen Triebs, des Sexualtriebs, zu verstehen, der entweder dem Lustprinzip gehorcht oder seinem Gegenspieler, dem Nirwanaprinzip. 4. Der Todestrieb darf nicht mit dem Wiederholungszwang gleichgesetzt werden, der nicht auf lediglich eine Tendenz reagiert und nicht immer letal ist, beispielsweise im Fall der durch die Übertragung geförderten Wiederholung, die die Erinnerungsarbeit ermöglicht. Solche Wiederholungen in der Übertragung sind von den eher triebgestützten, den Tod begrüßenden Wiederholungen zu unterscheiden. 5. Den Todestrieb definiert die Tatsache, dass er stumm operiert und jeder Symbolisierung, Lokalisierung, Bindung, Signifikation zuwiderläuft, das heißt, sich der Kategorie dessen, was besprochen und be-dacht werden kann, widersetzt. 6. Eros und Thanatos hängen mit der Tendenz zur Bindung bzw. Auflösung von Bindungen zusammen. Sowohl Eros als auch Thanatos sind Teil der Conditio humana. VI. Dc. Mirta Casas de Pereda Mirta Casas de Pereda (1996) gibt in “El Trauma y el Inconsciente” [Trauma und das Unbewusste] eine Übersicht des Todestriebkonzepts in der Theorie und in der klinischen Praxis, die sie durch eine lacanianische Linse betrachtet. Sie behauptet, dass man, beginnend bei Freud, der die Kastration mit jedem (zur psychosexuellen Entwicklung des Individuums gehörenden) Verlust gleichsetzte, und jeder Umwandlung des Triebs (oral, anal, phallisch, Liebe des Objekts) und im Anschluss daran bei post-freudianischen Autoren unterschiedlicher theoretischer Orientierung die strukturelle Verleugnung (sowohl als Abwehr wie auch als Triebschicksal) durch die Dialektik von Anwesenheit-Abwesenheit rückschließen kann. Dieser Sichtweise zufolge ist die narzisstische Kränkung allgegenwärtig. Die psychische Arbeit der Abwehrmechanismen, in der das „Nein“ einen privilegierten Status innehat, ermöglicht

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