Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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bindet, verbindet, bildet Strukturen, während Thanatos Bindungen auflöst, aufhebt und zerstört. Er erörtert mehrere relevante methodologische Fragen, z.B.: Wie kann der Todestrieb etwas besetzen, wenn er per definitionem eine Kraft ist, die Besetzung entzieht, Bindungen auflöst? Aus solchen methodologischen Gründen hinterfragt er auch die Vorstellung der „Mischung und Entmischung“ der Triebe. Laut Freud sind die Triebe nie im Reinzustand zu beobachten; ein Triebimpuls kann nur durch seine Abkömmlinge, die Vorstellungen und Repräsentanzen, bewusst werden. Daher nimmt Rocabert an, dass jede Handlung, jeder Gedanke und jeder Affekt wechselnde Quantitäten der Triebe, die die menschliche Psyche beherbergt, enthält. Dies ermöglicht es ihm, das Konzept einer einzelnen neutralen Energie zu formulieren, die von Liebe oder Hass, Leben oder Tod gefärbt sein kann; es ist eine zunächst eigenschaftslose Energie, die erst später ihren Charakter annimmt. Rocabert hält eine solche Position für kohärenter als die Annahme, dass die neutrale Energie eine Form von entsexualisiertem Eros sei, die später resexualisiert werde. Diese Hypothese ist ein zentraler Punkt seiner Neukonzipierung. Darüber hinaus erläutert Rocabert, dass dem Begriff „Todestrieb“ Vorstellungen subsumiert sind, die aus ganz unterschiedlichen konzeptuellen Feldern stammen: als eine stumme Kraft, die das menschliche Subjekt schließlich in den Tod führt und einem genetischen Programm entstammt, das einem Feld angehört, welches sich von den Konzepten der Aggression und Destruktivität unterscheidet. Er behauptet, dass Aggression und Destruktivität nicht zwangsläufig der Aktivität eines vermeintlichen Todestriebs entsprechen. Er nimmt eine gründliche Erforschung der Destruktivität vor, die sich von dem aggressiven Trieb herleitet, der abgelenkt werden kann und zu verschiedenen Formen der Aggression führen kann, die z.T. auf den Schutz des Lebens zielen, zum Teil auf einen dynamischen Prozess verweisen, der sich von demjenigen, der dem – der Psychosexualität inhärenten – Lustprinzip gehorcht, unterscheidet. Er bezeichnet diese Art der Aggression als „kalte Aggression“, die mit der Abfuhr nicht endet (wie es bei der Sexualität der Fall ist), sondern im Gegenteil eine Kraft ist, die zu einer allmählichen Steigerung tendiert und aggressive Aktionen erfordert, die immer gewalttätiger werden. VI. F. PERUANISCHE PSYCHOANALYSE UND TRIEBE: SCHNITTSTELLE VON PSYCHOANALYSE UND PHILOSOPHIE In Perú versuchen manche Autoren, das psychoanalytische Triebkonzept mit philosophischen Postulaten zu vergleichen, indem sie die epistemologische Basis der psychoanalytischen Theorie beschreiben, um ihre spezifischen wissenschaftlichen, von der Philosophie verschiedenen Grundlagen abzuklären. VI. Fa. Matilde Ureta de Caplansky Matilde Ureta de Caplansky (1996) untersucht in “Crueldad e intencionalidad” [Grausamkeit und Intentionalität] verschiedene Formen der Grausamkeit: Grausamkeit als Abkömmlich des Aggressionstriebs und/oder als möglicher Ausdruck (unter

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