Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Damit zusammenhängend , begann Freud 1897, nach und nach in groben Umrissen die Prozesse und Mechanismen zu beschreiben, die das Unbewusste beherrschen und die später von ihm als „Primärvorgang“ bezeichnet wurden. Am 7. Juli 1897 schrieb er: „Ich kenne ungefähr die Regeln, nach denen diese Gebilde sich zusammensetzen, und die Gründe, welche sie stärker machen als die echten Erinnerungen, und habe so Neues zur Charakteristik der Vorgänge im Unbewussten gelernt“ (Freud 1950 [1895], S. 273). Ebenfalls in diesem Zeitraum erarbeitete er die Grundlagen seiner ersten Angsttheorie (Freud 1950 [1895], S. 71-76), die nicht nur eine direkte Umwandlung verdrängter Libido in den Angstaffekt postulierte, sondern auch erstmals den Kausalzusammenhang zwischen der Angst und dem später so genannten traumatischem Zustand formulierte und würdigte. II. B. Das topische Unbewusste: Das System Ubw 1900-1923 Das frühe topische Modell des psychischen Apparates schreibt dem Unbewussten einen bestimmten Inhalt zu, bestehend aus verdrängten Triebrepräsentanzen, die in erster Linie durch Verdichtung und Verschiebung nach Maßgabe des Primärvorgangs der frei beweglichen Energie operieren.Nur wenn diese unbewussten Vorstellungen sehr stark mit libidinöser Energie besetzt werden, können sie ins vorbewusste/bewusste System hineingelangen. Weil das Vorbewusste aber als Zensor agiert, gestaltet sich dieser Prozess stets als Kompromissbildung, erkennbar an Symptomen, Träumen und Fehlhandlungen. Insbesondere die Erforschung der Träume zeigte Freud, dass das Unbewusste nicht nur durch das Fehlen des Bewusstseins charakterisiert ist, sondern auch durch die ihm eigene typische Arbeitsweise. Diese Erkenntnis veranlasste ihn, das wichtige Konzept des Primärvorgangs zu formulieren. Im 7. Kapitel der Traumdeutung erläuterte er die absurden Effekte der Traumarbeit, die sich nicht lediglich auf das Wirken des Zensors zurückführen lassen: „So können wir uns also der Einsicht nicht verschließen, dass an der Traumbildung zweierlei wesensverschiedene psychische Vorgänge beteiligt sind; der eine schafft vollkommen korrekte, dem normalen Denken gleichwertige Traumgedanken; der andere verfährt mit denselben auf eine höchst befremdende, inkorrekte Weise“ (Freud 1900, S. 602). Der Primärvorgang und die von ihm hervorgebrachte unbewusste Traumsymbolik sind charakterisiert durch frei bewegliche psychische Energie, die dank der Mechanismen der Verdichtung und Verschiebung ungehindert fließen kann. Aufgrund dieses freien Fließens werden durch Verdichtung vermittelnde Vorstellungen (ebd., S. 241) oder Mittelvorstellungen (ebd., S. 601), die Kompromissen ähneln, konstruiert. Die von der Realität bestimmten logischen Gesetze des Denkens – der Sekundärvorgang und seine Sprachsymbolik – haben für den Primärvorgang keine Gültigkeit. Dies betrifft vor allem den Satz des Widerspruchs. Widersprüchliche Vorstellungen existieren nebeneinander, ohne sich gegenseitig aufzuheben. Sie können sich zu Verdichtungsprodukten zusammensetzen, die vom bewussten Denken niemals toleriert würden. Und schließlich übertragen die

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