Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Kunst, Literatur usw. Er stützte sich auf Analogien, ohne diese jedoch als solche zu verkennen. Im zeitgenössischen psychoanalytischen Diskurs besteht daher weitgehend Einigkeit darüber, dass die interdisziplinären Zusammenhänge, Anwendungen und die gegenseitige Befruchtung von Psychoanalyse und anderen Forschungsfeldern zu weiterführenden Analogien und neuen Hypothesen führen können, sofern die unterschiedlichen Methoden und Terminologien der Disziplinen anerkannt und Verwechslungen ausgeschlossen werden. VII. A. NEUROBIOLOGIE DER TRIEBE UND AFFEKTE Um die Verbindung zwischen Trieb/Affekt und Objekt geht es in der Synthese Otto Kernbergs, der die Triebe, Affektsysteme und die Objektbeziehungstheorie der Persönlichkeit und Entwicklung mit der neurobiologischen Entwicklung und Aktivität korreliert (Kernberg 2021 [2015b]). Gestützt auf die neurowissenschaftliche Entdeckung des SEEKING-Systems (SUCH-Systems) durch Wright und Panksepp (2014), aktualisiert Kernberg Freuds duale Triebtheorie und konzipiert sie als eine untergeordnete Integration des SEEKING-Systems, das er nun als einen basalen Trieb versteht , der sich mit Belohnungs- und aversiven Affektsystemen verbindet . Unter Berufung auf Wright und Panksepp (2014), Krause (2012) und andere Autoren postuliert Kernberg (2021 [2015b]) die Integration der primären Affekte zu mehreren Affektsystemen. Diese primären Affekte, nämlich Freude, Wut, Ekel, Überraschung, Furcht, Traurigkeit und sinnliche Erregung werden den Systemen Bindung, Sexualität, Kampf-Flucht, Spiel-Bonding, Verlassenheitspanik und Suchen/SEEKING zugeordnet. Das SEEKING-System (Wright und Panksepp 2014) ist „eine basale, unspezifische Motivation der Reizbefriedigung, die sich an jedes der anderen Affektsysteme heften kann“ (ebd., S. 28). Aufgrund seiner mangelnden Spezifität hält auch Brian Johnson (2008) das SEEKING-System für eine zeitgenössische Version des freudianischen Triebs. Auf frühere Arbeiten von Panksepp (1998), Berridge und Robinson (2003), Shevrin (2003), Schore (2003) und viele Bezug nehmend, geht er Freuds (1920g) Beobachtung einer Kraft nach, die „ursprünglicher, elementarer, triebhafter als das […] Lustprinzip“ (1920g, S. 22) ist, indem er die neuralen Leitungsbahnen und den Signalapparat untersucht, die Trieb, Lust und Besetzung vermitteln. Er formuliert eine neuropsychoanalytische Theorie, der zufolge emotionale Gesundheit durch eine Übereinstimmung von Trieb und Lust unterstützt wird, während die Neurose durch dringend benötigte Beziehungen am Leben erhalten wird, die Unlust/Schmerz und Frustration verursachen und denen eine fehlende Übereinstimmung zweier distinkter neuraler Systeme zugrunde liegt. Innerhalb dieses Bezugsrahmens sind Konzepte wie Wiederholungszwang und Todestrieb zweitrangig. In seiner späteren Veröffentlichung zeigt Johnson (2010), dass das Verständnis der Neurobiologie, die der Metapsychologie zugrunde liegt, präziseren Modellen des menschlichen Funktionierens, an denen sich psychoanalytische Interventionen

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