Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

verlangen. Die Hypothese der Niederschrift an zwei Lokalitäten eignet sich zur Illustration der Bewusstwerdung, die Hypothese der funktionellen Zustandsveränderung hingegen kann den Verdrängungsvorgang beschreiben, indem sie auf eine Asymmetrie zwischen Bewusstwerdung einerseits und Verdrängung andererseits verweist. Die dritte wichtige Hypothese zeichnet sich ab, wenn Freud die unbewusste Vorstellungswelt untersucht und eine Unterscheidung zwischen Sach- und Wortvorstellungen trifft. Die Anregung dazu ergab sich aus Beobachtungen, die über die Träume und die Neurosen hinausreichten: „Erst die Analyse einer der Affektionen, die wir narzisstische Psychoneurosen heißen, verspricht uns Auffassungen zu liefern, durch welche uns das rätselvolle Ubw näher gerückt und gleichsam greifbar gemacht wird“ (ebd., S. 294). In der Sprache der Schizophrenen können Wörter dem Primärvorgang unterworfen werden. Sie werden dann konkretistisch oder dinghaft. Freud verstand diese Beobachtung wie folgt: „Was wir die bewusste Objektvorstellung heißen durften, zerlegt sich uns jetzt in die Wortvorstellung und in die Sachvorstellung “ (ebd., S. 300). Die bewusste Vorstellung beinhaltet die Sachvorstellung und die dazu gehörige Wortvorstellung, während die unbewusste Vorstellung mit ihrer halluzinatorischen Qualität durch reine Sachvorstellung charakterisiert ist. Freud spricht hier von den „Sachbesetzungen der Objekte“ (ebd.), was darauf hindeutet, dass im Unbewussten zwischen dem Objekt und seiner Repräsentation nicht unterschieden wird. Im Zustand des wachen, konzentrierten Bewusstseins aber kann man die Sach- Qualität des Unbewussten nicht reproduzieren; man kann ihr Auftreten lediglich passiv abwarten. In dieser Zeit setzte Freud sich in neuen Kontexten mit Überlegungen aus der früheren Phase auseinander und begann, neue Ideen zu entwickeln, die erst im nächsten Abschnitt seiner Theoriebildung systematisiert wurden. Die Abhandlung „Bruchstück einer Hysterie-Analyse“ (Freud 1905a) stellt, was die infantile Sexualität betrifft, eine konzeptuelle Verbindung zwischen der Traumdeutung und den Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“ dar und lenkt zudem erstmals die Aufmerksamkeit auf das dynamisch unbewusste Phänomen der Übertragung. In den Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie untersuchte Freud (1905b) die Stufen der psychosexuellen Entwicklung und die infantile (unbewusste) Sexualität . Der komplizierten Umgehung der Zensur durch eine modifizierte Anwendung der Vieldeutigkeiten des Primärvorgangs und eine partielle Freisetzung der Triebstrebungen in Witzen widmete Freud (1905c) in Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten eine gründliche Untersuchung. In Totem und Tabu erörterte Freud (1912-13) die Umwandlung unbewusster Feindseligkeit in eine „übermäßige Steigerung der Zärtlichkeit“ (S. 63) sowie die Projektion von Feindseligkeit auf Verstorbene: „Die Feindseligkeit, von der man […]

1016

Made with FlippingBook - Online magazine maker