Zurück zum Inhaltsverzeichnis
Proteinen, mit anderen Worten: Es gibt lebensunterstützende und lebensfeindliche Programme; auf diese Weise könnte man Lebenstriebe und Todestrieb ais molekularbiologischer und psychoanalytischer Perspektive verstehen.
VII. B. GRUPPENKONTEXT Historisch betrachtet, wurden die Triebe und ihre Schicksale, die dem Gruppenverhalten, der Kultur und der Gesellschaft zugrunde liegen, von Freud während der gesamten Entwicklung der psychoanalytischen Theorie in mehr als 20 Schriften untersucht. Besonders zu erwähnen sind die Abhandlung Totem und Tabu (Freud 1912-13a), in der er eine Manifestation des Ödipuskomplexes auf einer Gruppen- und gesellschaftlichen Ebene beschreibt; Massenpsychologie und Ich- Analyse (Freud 1921c), in der er auf Gruppenregression sowie primitive Projektions- und Identifizierungsprozesse fokussiert, d.h. auf Projektionen auf den Anführer als (Über-)Ich-Ideal der Gruppenmitglieder, durch die sich diese von moralischer Kontrolle der Äußerung ihrer Triebstrebungen, insbesondere der aggressiven, befreien, auf wechselseitige Identifizierungsprozesse zwischen Mitgliedern und Anführer, sowie auf libidinöse Bindungen zwischen ihnen, die ein Gefühl der Zugehörigkeit und der Stärke intensivieren; in Das Unbehagen in der Kultur schließlich beschreibt Freud (1930a) die Entfesselung zuvor unbewusster aggressiv-sadistischer-destruktiver Impulse gegen „andere“ Gruppen. Wenngleich die spezifischen Formulierungen je nach Phase der theoretischen Entwicklung variierten, blieb die Grundthese dieselbe: Motivationskraft hinter historisch-gesellschaftlichen Entwicklungen, hinter Misserfolgen und Erfolgen der Kultur ist der Antagonismus zwischen den Anforderungen der triebhaften Natur und den reaktiven restriktiven Formationen , die die Gesellschaft etabliert und die nach und nach zum Verzicht auf das Ausleben der Triebe (der aggressiven ebenso wie der erotischen/sexuellen) führen. Bion (1961), Rice (1969), Anzieu (1981), Kaës (1976, 2010, 2014), Lebovici, Diatkine and Kestenberg (1958), Kernberg (2003a, b), Scheidlinger (1974) und andere haben an Freuds Überlegungen zu der in Gruppen aktivierten Regression und den damit verbundenen Urphantasien sowie zu den gruppenspezifischen primitiven projektiven, introjektiven und identifikatorischen Prozessen mitsamt ihren Implikationen für die Triebaktivität angeknüpft und Modelle der projektiven Identifizierung und/oder der „psychischen Realität“, des „intersubjektiven dynamischen Raumes“, des „Verschmelzens mit der Muttergruppe“ etc. entwickelt. Bion (1961) postuliert, dass die von ihrer ursprünglichen Quelle durch projektive Identifizierung entfremdeten primitiven Impulse zur Bildung der „ Grundannahmengruppe“ beitragen, die den Mechanismen von Abhängigkeit, Kampf-Flucht bzw. Paarung unterliegt, während die „ Arbeitsgruppe “ produktiv und realitätsbezogen kooperiert. Anzieu (1981) beschreibt die verschiedenen Gruppenphantasien, Illusionen und Metaphern von oralen Bedrohungen und Ängsten – die „Gruppe als Mund“, „Auseinanderbrechen“, die
1016
Made with FlippingBook - Online magazine maker