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(manchmal verleugneten) lebendigen, dialektischen Verbindung, in der man den Anderen konstituiert (oder sich an ihn „anlehnt“, ihn prägt), besteht. Dies lässt sich in individualisierte klinische Vergehensweisen übersetzen, die die Integration unterschiedlich formulierter Zwei-Personen-Perspektiven in die Triebtheorie zulassen. Beispiele dafür sind zeitgenössische Integrationen von Trieb- und Objektbeziehungstheorie durch postfreudianische Autoren, die mit postkleinianischen und multitheoretischen Ansätzen arbeiten und die einzigartige Nützlichkeit des Todestriebs auf einer phänomenologischen Ebene untersuchen, sowie die modernen, aus der französischen Tradition stammenden Ansätze in Europa. Gemeinsam ist all diesen Ansätzen die Arbeit an den Grenzen der symbolischen Repräsentation. In Lateinamerika beginnt der Diskurs über den Trieb heute gewöhnlich als Dialog mit Freud und „miteinander“. Dieser Dialog deckt eine große Bandbreite an Hypothesen ab, die u.a. Theorieentwicklung sowie Methodologie und ihre Implikationen für den klinischen analytischen Prozess betreffen. Strittige Punkte betreffen theoretische und klinische Beiträge insbesondere über das Todestriebkonzept. Im Kontext der Theorieentwicklung findet, beginnend mit der Diskussion über die Übersetzung des Wortes Trieb mit „instinct“ statt „drive“, eine Suche nach einer präziseren wissenschaftlichen Grundlage für das Konzept und seinen psychoanalytischen wissenschaftlichen Status statt. Lateinamerikanische Theoretiker untersuchen daher insbesondere, wie bestimmte Konzepte, etwa die somatische Quelle des Triebs und seine psychische Repräsentation, und der Dualismus des Triebkonzepts – einschließlich des Dualismus der Lebenstriebe und des Todestriebs – mit Freud, seiner medizinischen Ausbildung und seiner klassischen Bildung zusammenhängen. Sie gehen speziell der Frage nach, welches Gewicht Freuds wissenschaftlichen biologischen, physikalischen und chemischen Studien und seinem Beruf als Arzt bzw. dem Denker Freud zukommt, der geistige Nahrung in der Philosophie, Anthropologie, Soziologie und Mythologie fand. In anderen theoretischen und klinischen Entwicklungen hat man nach Bestätigung des Todestriebkonzepts und des Konzepts des Todes im Trieb im phylogenetisch ererbten biologischen Bereich – verstanden als eine der Triebkomponenten – gesucht. Andere führen es auf eine rein psychoanalytische Abstammung und Freuds paradigmatisches Konzept der Ergänzungsreihen zurück . Andere gehen von einem ewigen Widerstreit zwischen den Kräften dessen, was zur Abwesenheit von Leben, nämlich zum Tod, tendiert, und der Kraft des Eros, nämlich der Libido, aus. Weitere Autoren betonen das Auftauchen des psychischen Funktionierens des Menschen aus der Beziehung zu einem „Anderen“ und zu anderen Menschen in Objektbeziehungen, die durch Identifizierung verinnerlicht werden, was zu einem Gleichgewicht zwischen dem Intersubjektiven , dem Intrasubjektiven und dem Transsubjektiven führt. Postuliert wird auch, dass der Todestrieb die angeborene menschliche Tendenz zur Destruktivität enthält. Andere beide Triebe als unterschiedliche, mit dem Todestrieb zusammenhängende Operationsformen. Sie unterscheiden in ihm eine erogene, das Leben bejahende Komponente (wie im
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