Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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postfreudianische Strukturtheorie wurde nach und nach um genetische, entwicklungspsychologische und anpassungsrelevante Gesichtspunkte erweitert (Rapaport und Gill 1959; A. Freud 1965), welche die vorhandenen dynamischen, strukturellen und ökonomischen Theorien der Freud’schen Metapsychologie ergänzten. Hier zeichnet sich ein wichtiges Thema ab: die immer größere Signifikanz, die man den Erfahrungen zuschrieb, die Kinder in ihrer Umwelt mit anderen Menschen machen. Damit einhergehend maß man auch neuen Quellen unbewusster Beiträge zur Übertragungsaktivität zunehmende Bedeutung bei. In Anbetracht des wachsenden Einflusses von Budapester und Berliner Analytikern und später von Angehörigen der britischen Middle School sowie der frühen kleinianischen Gruppe führten Hartmanns Zeitgenossen den Objektbeziehungsdiskurs fort, indem sie die bewussten und unbewussten Aspekte der sehr frühen Entwicklungsphasen vertieften. Edith Jacobson (1964) erforschte das Selbst und die Objektwelten; von Margaret Mahler (1963; Mahler et al. 1975) stammen die klassischen Formulierungen der Theorie der Separation- Individuation, die später von D.N. Stern (1985) überarbeitet wurden. Die Aufmerksamkeit richtete sich auf den Einfluss, den die prä-ödipale Phase auf die spätere Entwicklung ausübt, sowie auf die Art und Weise, wie das Kind äußere Kontrollen, die zum Teil aus seinen Transaktionen mit den Eltern herrühren, verinnerlicht. Betont wurde hier, wie die verschiedenartigen (in einer ich- psychologisch konzipierten Objektbeziehungsstruktur aktiven, durch sie gefilterten, befriedigten oder frustrierten) unbewussten Strebungen durch die von Freud (1926) beschriebenen kindlichen Gefahrsituationen – Objektverlust, Verlust der Liebe des Objekts und Kastration – geprägt werden. Jacobson (1978 [1964] verfasste einen sehr spezifischen Beitrag zum Unbewussten. Sie vertrat die Ansicht, dass sich undifferenzierte Triebenergie „unter dem Einfluss der Stimulierung von außen“ (S. 24) zu libidinösen und aggressiven Trieben entwickele. Versagung und Befriedigung, niedergelegt als Erinnerungsspuren der Kindheitskonflikte, organisieren diese affektiven Erfahrungen zu einem individuellen, persönlichen Lust-Unlust-Spektrum mit persönlichen Ober- und Untergrenzen. Aus diesem neuen ich-psychologischen Modell ergab sich ein deutlicheres Bild der Entstehung des Ichs und der Objektrepräsentanzen, die man in allen drei psychischen Instanzen (Es, Ich und Über-Ich) lokalisierte. Die Ich-Psychologie wandelte sich, als die Theoretiker zunehmend klinische Beobachtungen einforderten, um metapsychologische Annahmen zu stützen. Zu dieser Entwicklung trugen Mitglieder der frühen Gruppe (zum Beispiel Mahler, Jacobson) bei sowie neue Generationen von Denkern (zum Beispiel Beres 1962; Arlow und Brenner 1964; Kanzer 1971; Rangell 1952; Wangh 1959). Einläutet wurde diese neue Ära durch Arlows und Brenners (1964) Monographie, in der sie die metapsychologische Perspektive unter den strukturellen Gesichtspunkt subsumierten. Diese Veränderung bahnte neuen Ansätzen zum Verständnis des Unbewussten den Weg. Zu deren Repräsentanten zählten Integrationsbefürworter wie Kernberg (1966), Kohut (1971) und Rangell (1969b). Die traditionelle ich-psychologische Theorie war nun zum

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