Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Strukturmodell geworden, einer Theorie, mit der bis weit in die 1970er Jahre hinein vor allem die Mehrheit der Analytiker in Nordamerika arbeitete. Eine der wichtigsten Veränderungen des damaligen Zeitgeistes fand Ausdruck als Reaktion gegen die metapsychologische Orientierung. Orientiert an der Methode des Operationalismus (Fokussierung auf konkrete Operationen), wurde die anti- metapsychologische Betonung zunächst in den Schriften interpersonaler/kulturtheoretisch orientierter Autoren wie S.S. Sullivan (1953), Horney (1941) und Fromm (1941) ausgearbeitet, die das Konzept des Unbewussten häufig selektiv lediglich als sekundären deskriptiven Terminus benutzten, statt einen wesentlichen Aspekt des psychischen Lebens mit ihm zu bezeichnen. Doch selbst in ihren Formulierungen mussten die „entfremdeten“, „bösen“, „Nicht-Ich“-Anteile aus dem bewussten Gewahrsein ausgeschlossen und tief in das „unwandelbar private“ Unbewusste gedrängt werden. Dieser Ansatz wurde zwar nicht zum Mainstream, trug aber direkt und indirekt zu psychoanalytischen Konzeptualisierungen und zur dynamischen Arbeit mit schweren Pathologien, zu Konzeptualisierungen der frühen Entwicklung und zur Vertiefung des Verständnisses unbewusster Transaktionen im Feld von Übertragung-Gegenübertragung bei. Die nächste Herausforderung, die Einfluss auf die Konzeptualisierungen des Unbewussten nahm, ergab sich unmittelbar aus dem metapsychologischen Gesichtspunkt. Die wichtigsten einschlägigen Beiträge verfassten Merton Gill, der zuerst die topische Perspektive verwarf (Gill 1963) und dann die gesamte übrige Metapsychologie (Gill 1976, 1994), und George Klein (1976). Sie konzipierten schließlich zwei psychoanalytische Theorien: (1) eine klinische, auf unbestreitbarer empirischer Beobachtung beruhende Theorie; und (2) eine spekulative abstrakte Theorie. Roy Schafer (1976) plädierte für eine H andlungssprache , die psychische Phänomene mithilfe dynamischer Formulierungen zu erklären versucht, indem sie Verben und Adverbien benutzt und auf Subjekte und Adjektive verzichtet. Zudem setzte er sich dafür ein, Motivationsfaktoren und die aus ihnen resultierenden Handlungen als Handlungssequenzen in diese Sprachverwendung mit einzubeziehen. Dies war ein weiterer Schub in Richtung Intersubjektivität. Zu den späteren Opponenten der Metapsychologie zählen Kohut (1977) und Gedo (1979). Letzterer lehnte die Metapsychologie ab, weil sie die „Person“ als „Akteur“ aus dem Blick verlor. Als Korrektiv postulierte er ein Modell des Selbst in Beziehung zu seinen Objekten. Die Vertreter der interpersonalen , selbstpsychologischen und relationalen Perspektive bildeten neue Gruppen (Gerson 2004; Hatcher 1990). Die klinische Einheit, der sie ihre Aufmerksamkeit widmeten, war eine interpersonale. Eine Ausnahme bildeten Thomas Ogden (1992a, 1992b) und Jay (1991), die beide zur Untersuchung unbewusster Motivationskräfte zurückkehrten. Diese Entwicklungen gingen mit anderen Veränderungen einher, mit „metapsychologischen Modifizierungen“, die vorrangig die Arbeit mit dem Strukturmodell und dem psychische Konflikt betonten (Arlow und Brenner 1964), die Rolle und Funktion der unbewussten Phantasie und der Übertragung (Arlow 1961,

1024

Made with FlippingBook - Online magazine maker