Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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die das Individuum von Beginn seines Lebens an macht. Unter dieser Perspektive gibt sich ein Treffpunkt zwischen den intrapsychischen und dem intersubjektiven Bereich , Vorgängen in Beziehungen und unbewussten psychischen Funktionen zu erkennen. Die angeborene Triebausstattung des Babys wird also durch Interaktionen mit der Umwelt geprägt, die ihrerseits durch unbewusste psychische Prozesse gefärbt und umgemodelt wird. Als einer der ersten theoretischen Neuerer auf diesem Gebiet gilt heute ein zu Lebenszeiten relativ unbekannt gebliebener Analytiker, nämlich W. R. D. Fairbairn (1952), „der Mann, der die Spaltung des psychischen Atoms aufhob“ (Malberg und Raphael-Leff 2014). Bekannter und einflussreicher war jahrzehntelang das Werk Melanie Kleins, das gewissermaßen einen Spagat zwischen einer rein intrapsychischen und einer intersubjektiven Perspektive darstellt. Das Unbewusste ist laut Klein durch die Abwehrmechanismen des Säuglings charakterisiert, der sich gedrängt fühlt, seine – vom Todestrieb beherrschten - sadistischen und angsterfüllten Selbstanteile mittels unbewusster Spaltungs- und projektiver Identifizierungsprozesse loszuwerden. Weitere Abwehrmechanismen sind die Verleugnung und die Idealisierung. Das von Freud vertretene Konzept des Unbewussten als Ergebnis der Urverdrängung fügt sich in das kleinianische Verständnis nicht ein (Mancia 2007). Gemäß der kleinianischen Theorie gründet das innere Leben des Individuums in der unbewussten Phantasie ; es wird beherrscht von der paranoid-schizoiden und der depressiven Position (PS – D) beherrscht (Klein 1935). Bei diesen Positionen handelt es sich um intrapsychische Funktionsweisen, die die Beziehung des Individuums zu seinen eigenen inneren Objekten widerspiegeln und einen tiefgreifenden Einfluss darauf ausüben, wie es Menschen in der Außenwelt wahrnimmt und welche Beziehung es zu ihnen aufnimmt. Das originär kleinianische Konzept der projektiven Identifizierung erhielt im Laufe der Zeit eine zunehmend relationale Ausrichtung. Im theoretischen Modell Bions entwickelte es sich zu einer spezifischen Form der Kommunikation und einem unbewussten Bedürfnis nach Containment und Reverie. Das unbewusste Operieren der von Bion (1962, 1965) beschriebenen Alpha-Funktion zeigt, wie das Unbewusste sich in einem relationalen Kontext entwickelt: Die bewusste und die unbewusste Psyche des Babys wird durch die Reverie-Funktion der Mutter, die entscheidend zur Organisation des kindlichen unbewussten Lebens beiträgt, strukturiert. Bevor die Verdrängung auftaucht, wird das Unbewusste des Babys geformt, indem die mütterliche Psyche die sensorischen und emotionalen Erfahrungen, die es im Bereich seiner primären Beziehungen macht, transformiert. Sämtliche Regionen und psychoanalytischen Kulturen wurden von dem zentralen kleinianischen Konzept der unbewussten Phantasie beeinflusst. Durch die (englische) Schreibweise „phantasy“ statt „fantasy“ wollte Klein hervorheben, dass der Begriff eine basale Form der psychischen Struktur mit spezifischem Vorstellungsinhalt bezeichnet und nicht lediglich einen auf Triebabkömmlingen oder auf einem Tagtraum beruhenden, einfallsreich ausgestalteten Wunsch. Die theoretische Grundlage dafür, dass Melanie Klein diese unbewussten Phantasien für die Grundbausteine der

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