Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Schaffung eines Gedankencontainers und für die topische Unterteilung psychischer Inhalte in die Systeme Ubw und Vbw/Bw unverzichtbar ist. Weil es sich bei den Beta-Elementen um sensorische Stimuli handelt, die noch keine Bedeutung angenommen oder zugewiesen bekommen haben , unterscheiden sie sich von den Freud’schen „Repräsentanzen“. Letztere können bewusst oder auch unbewusst sein, Beta-Elemente aber sind dem Bewusstsein per definitionem entzogen , da sie nicht psychisch sind, sondern nur auf einer somatischen oder neurobiologischen Ebene „existieren“ (auf der Ebene der Sinnesorgane einschließlich des Gehirns). Diese Formulierung verweist zurück auf Freuds frühes Modell der hypothetischen neuronalen Schaltkreise für die Vermittlung von Lust und Unlust, das er in seinem „Entwurf einer wissenschaftlichen Psychologie“ gezeichnet und beschrieben hatte (Freud 1950 [1895], S.413, 417). Es ist wichtig festzuhalten, dass Beta-Elemente zwangsläufig unbewusst sind, weil sie noch nicht psychisch sind und nicht etwa deshalb, weil sie infolge eines Konflikts mit dem Über-Ich oder aufgrund von Angst infolge verbotener Wünsche verdrängt oder einer anderen Abwehroperation unterworfen worden wären. Sobald Beta-Elemente in Alpha-Elemente umgewandelt wurden – das heißt, sobald sie psychisch geworden sind -, können sie bedeutungshaltig werden, den Status von Symbolen annehmen, mit anderen mentalen Element zu Bruchstücken von Narrationen und Assoziationsketten verknüpft werden usw. Und sie können den Status von Repräsentationen erlangen und benutzt werden, um Gedanken und Vorstellungen zu generieren, die ins Bewusstsein gebracht oder aufgrund der Angst, die sie erzeugen, ins Unbewusste verdrängt werden können. Bions Theorie der Beta-Elemente und der Alpha-Funktion ist also eine Metapsychologie der Bildung, Strukturierung und Entwicklung der Psyche. O enthält die Saat künftiger psychischer Evolution und Entwicklung , die durch Prozesse erfolgt, die zunächst intersubjektiv sind (mütterliche Reverie, Container-Contained) und die Präsenz eines hilfreichen Objekts voraussetzen , das dem Patienten oder Säugling seine eigene Alpha-Funktion zur Verfügung stellt und auf diese Weise mit ihm zusammen ein effektiveres „Denkpaar“ bildet. Sobald sich die Alpha-Funktion entweder mit Hilfe einer anderen Psyche oder durch die Introjektion der mütterlichen Alpha-Funktion und des „Denkpaares“ entwickelt hat, produziert der kontinuierliche Prozess der Umwandlung von Beta-Elementen in Alpha-Elemente die „Kontaktschranke“, die Voraussetzung für das verdrverlängte oder dynamische Unbewusste, wie Freud es beschrieben hat. Weil sich dieser Prozess lebenslang vollzieht, behauptete Bion, die Psychoanalyse sei die Untersuchung, die den Bereich, den sie zu erforschen sucht, ständig erweitert. Seine Auffassung, dass die Alpha-Funktion auch umkehrbar sei, das heißt, dass Alpha-Elemente kannibalisiert und wie psychische Fäzes ausgeschieden werden können, so dass die Psyche verarmt und die Kontaktschranke durch einen starren Schirm aus Beta-Elementen ersetzt wird, entspricht einer dynamischen und dialektischen Sichtweise des Kampfes, den die Psyche austrägt, um den Halt, den sie sich im Zuge ihrer Entwicklung erkämpft hat, nicht wieder zu verlieren. Winnicotts (1960) paradoxe Aussage: „So etwas wie ein Baby gibt es nicht“ (S. 587), zeigt, in

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