Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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und haben, was das Konzept des Unbewussten anlang, etliche seiner Grundannahmen übernommen. Da sie vorwiegend dem topischen Blickwinkel (erste Topik) zuneigen, gehen sie von einer strikten Trennung zwischen dem Vorbewussten/Bewussten und dem Unbewussten aus. Zudem kann das Unbewusste ihrer Meinung nach nicht durch Beobachtung erkennbar, sondern lediglich nachträglich – aprés coup – rückgeschlossen werden. Das Ich ( le moi ) wird ebenso sehr durch seine identifikatorische „Entfremdung“ im Begehren der Anderen definiert wie durch seine Anpassungsfähigkeit; es ist subjektiv und in höherem Maß ein Selbst als das defensive und realitätsorientierte Geschöpf, das die Ich-Psychologie beschreibt. Französische Analytiker nehmen an, dass alles, was Ich ist, aus dem Unbewussten auftaucht. Die Vorstellung eines konfliktfreien Bereichs liegt ihnen fern. Le moi besteht auch aus unbewussten Objekten und Partialobjekten. Während die Ich-Psychologie dafür eintritt, dass der Analytiker eine gewisse konstante Distanz zum Patienten wahrt, empfahlen französische Autoren, insbesondere Bouvet und ein wenig später auch Green, McDougall und Roussillon, schon früh eine flexible Haltung, die der Reaktion des Patienten auf die Distanz Aufmerksamkeit widmet. Darüber hinaus ist es für französische Analytiker insbesondere infolge des Einflusses von Jacques Lacan obligatorisch, nicht nur über die Funktion des Sprechens und der Sprache in der analytischen Situation, sondern auch als strukturierendes Prinzip des Unbewussten nachzudenken. Jacques Lacans (1993) Diktum, das Unbewusste sei von Grund auf „strukturiert, gewebt, gekettet und vermascht durch Sprache“ (S. 119), hat ganze Generationen späterer Analytiker beeinflusst, ganz gleich, ob sie diese Sichtweise teilten oder nicht. Eine große Gruppe von Analytikern der Pariser Psychoanalytischen Gesellschaft , zu der u.a. Pasche, Marty, Lebovici, Diatkine, Fain, Braunschweig, McDougall, Green und Neyratt zählten, wendete sich entschieden gegen Lacans Theorie und lehnte es ab, Trieb und Sprache in eins zu setzen. Für Lacan ist das Unbewusste nicht etwas Gegebenes, das der Deutung harrt; es wird vielmehr aufgedeckt in einem Akt, bei dem es sich zumeist, aber nicht immer, um einen Sprechakt handelt. Lacan warnte auch vor dem Missverständnis, im Unbewussten schlicht und einfach einen Sitz der Triebe zu sehen. Der Begriff des Unbewussten bezeichnet seiner Ansicht nach die Vorstellung, wie das Subjekt zu konzeptualisieren ist. Sein gesamtes Projekt ist folglich die Erforschung des unbewussten Subjekts. De Saussures Modell der Sprache gemäß benennt Lacan (2004) Freuds Repräsentanzen um und bezeichnet sie als Signifikanten. Überzeugend formuliert er seine Betonung der Kombinationsmöglichkeiten des Signifikanten, die den eigentlichen Ausdruck der Triebe vorgeben. Etwas (Verdrängung) blockiert die Äußerung der im Unbewussten zirkulierenden Signifikanten. Seinem Verständnis entsprechend besteht das Unbewusste aus verdrängten Signifikanten, die wiederum den Zugang zu Triebabkömmlingen kontrollieren. Dieses Modell der Psyche verlangt im Unterschied zu Modellen, die auf mutmaßlichen erogenen Aktivierungsquellen beruhen, keinen biologischen Reduktionismus und ist eher kulturell orientiert.

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