Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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III. Eb Unbewusste Kommunikation Die erste Erwähnung dieses Themas in der psychoanalytischen Literatur findet sich in Freuds (1912b) Abhandlung „Ratschläge für den Arzt bei der psychoanalytischen Behandlung“. Hier heißt es, der Analytiker solle „dem gebenden Unbewussten des Kranken sein eigenes Unbewusstes als empfangendes Organ zuwenden, sich auf den Analysierten einstellen wie der Receiver des Telephons zum Teller eingestellt ist. Wie der Receiver die von Schallwellen angeregten elektrischen Schwankungen der Leitung wieder in Schallwellen verwandelt, so ist das Unbewusste des Arztes befähigt, aus den ihm mitgeteilten Abkömmlingen des Unbewussten dieses Unbewusste, welches die Einfälle des Kranken determiniert hat, wiederherzustellen“ (S. 381f.). In „Das Unbewusste“ (Freud 1915c) griff er das Thema erneut auf: „Es ist sehr bemerkenswert, dass das Ubw eines Menschen mit Umgehung des Bw auf das Ubw eines anderen reagieren kann. Die Tatsache verdient eingehendere Untersuchung, besonders nach der Richtung, ob sich vorbewusste Tätigkeit dabei ausschließen lässt, ist aber als Beschreibung unbestreitbar“ (S. 293). Danach hat sich Freud mit der unbewussten Kommunikation nicht wieder beschäftigt. Sándor Ferenczi aber brachte zur Sprache, wie wichtig die Persönlichkeit des Analytikers für die Entwicklung der unbewussten Kommunikation ist und dass sie die individuellen Eigenschaften eines jeden psychoanalytischen Prozesses maßgeblich mitbestimmt. In seinem „klinischen Tagebuch von 1932“ erörterte er die „reale“ Gegenübertragung (Ferenczi 1999 [1985], S. 50 passim), d.h. die emotionale Beteiligung des Analytikers am analytischen Prozess: „Ich dachte mir auch, dass ein Traum des Patienten vor etwa 2 Tagen, der in zwei Tagen eine große deutsche Revolution voraussagte, eigentlich ein Vorausfühlen meines Aufruhrs gegen die Tyrannei des Leidens gewesen sei“ (S. 105). Green (2008) betrachtet Ferenczi aufgrund seines „Tagebuchs“ als einen Vorläufer der modernen Psychoanalyse, und Zimerman (2008) erklärt in seinem Wörterbuch der zeitgenössischen Psychoanalyse, dass Ferenczi die Persönlichkeit des Analytikers als analytisches Behandlungsinstrument ansah. Im Übrigen waren Freud und Ferenczi gleichermaßen fasziniert von der Möglichkeit telepathischer Vorgänge. Bis Theodor Reik (1948) sein Buch Listening With the Third Ear (deutsch 1976) veröffentlichte, herrschte bezüglich dieser Überlegungen Schweigen. Reik machte einen wichtigen Schritt zum Verständnis der unbewussten Kommunikation, als er schrieb: „Eine der Eigenarten dieses dritten Ohrs ist, dass es auf zwei Kanälen hört. Es kann erfassen, was andere Leute nicht sagen, sondern nur fühlen und denken; es kann aber auch nach innen gerichtet werden. Es kann Stimmen aus dem Innern hören, die sonst nicht hörbar sind, weil sie vom Lärm unserer bewussten Gedankenprozesse übertönt werden“ (Reik 1976 [1948], S. 168). Zu erkennen, was die Sprache verhüllt und was durch Schweigen offenbar wird, ist entscheidend. Die unbewussten Schichten sind nicht direkt zugänglich. Das Medium ist das Ich, in welches das Unbewusste des Gegenübers introjiziert wird. Um den Anderen zu verstehen, müssen wir ihn unbewusst im Ich fühlen. Reik fügte hinzu, dass diese unbewussten Impulse der eigenen Psyche Impulse derselben Art im Gegenüber, in diesem Fall im Analytiker, erzeugen.

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