Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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zurück, dass die Psyche des Patienten das Setting in ein bi-personales Feld verwandelt. Er entwickelte das Konzept der konkordanten Identifizierung, das heißt: Der Analytiker introjiziert verschiedene Objekte aus der inneren Welt des Patienten und kann sich so in dessen Situation versetzen. Dies ist seinem empathischen Verstehen zuträglich und erleichtert es ihm zugleich, seine eigenen Gefühle wahrzunehmen. Die Unterscheidung zwischen beiden Beteiligten bleibt gewahrt. Rackers Konzept der komplementären Identifizierung betrifft hingegen eine Situation, in der Analytiker und Patient wechselseitig projektive Identifizierungen vornehmen und der Psychoanalytiker sich in den Patienten projiziert. Die Konsequenz daraus ist ein Enactment. 1962 formulierte Grinberg das Konzept der projektiven Gegenidentifizierung, um die Beeinflussung der Subjektivität des Analytikers durch die projektive Identifizierung seitens des Patienten zu erklären. Wenn der Einfluss dieser projektiven Identifizierung massiv ist, bestimmt er die Reaktion des Analytikers, die somit von seinen eigenen Konflikten unabhängig ist. Grinberg untersuchte die innere Beziehung des Analytikers zu den inneren Objekten, die vom Patienten in ihn selbst hineinprojiziert wurden. Diese Entwicklungen im Bereich der Erforschung unbewusster Kommunikation durch Übertragung und Gegenübertragung führten zur Konzeptualisierung der Analytiker-Patient-Beziehung als bi-personales Feld, das heißt, als eine von Grund auf intersubjektive Beziehung. In der Praxis wird der Begriff allerdings in ganz unterschiedlicher Bedeutung verwendet. Lawrence Brown (2011) schreibt in seinem Buch Intersubjektive Processes and the Unconscious : „Der Begriff Intersubjektivität wird häufig mit der amerikanischen relationalen Schule in Verbindung gebracht“ – eine Schule, der Green (2008) eine epidemische Ausbreitung in Nordamerika bescheinigte. Grotstein (1999) und Brown (2011) vertreten jedoch den Standpunkt, dass die Gegenübertragung glücklicherweise in eine Intersubjektivität transformiert wurde, und Brown fügt hinzu: „Darüber hinaus ist Intersubjektivität ein Prozess der unbewussten Kommunikation , Rezeptivität und Bedeutungsstiftung, der sich in beiden Mitgliedern der Dyade abspielt und sie auf analoge Weise veranlasst, dem gemeinsamen emotionalen Feld eine je eigene idiosynkratische Signifikanz zuzuschreiben“ (S. 7). Das Konzept des analytischen Feldes, mit dem Brown hier arbeitet, geht in erster Linie auf das Werk von Madeleine und Willy Baranger zurück. Ihre Arbeit „The analytic situation as a dynamic field“ erschien erstmals 1961 und dann noch einmal 1968 auf Spanisch. Erst 2008 wurde das Buch ins Englische übersetzt. Mithin war diese fundamentale theoretische Neuerung dem Großteil der psychoanalytischen Community bis vor relativ wenigen Jahren unbekannt. Die Barangers (2008) beschrieben ihr Projekt folgendermaßen: „In diesem Aufsatz erörtern wir die Konsequenzen, die sich aus der großen Bedeutung ergeben, die aktuelle Beiträge mit der Gegenübertragung verbinden. Wenn letztere einen theoretische und behandlungstechnische Wertigkeit annimmt, die derjenigen der Übertragung gleichkommt, bildet die analytische Situation ein dynamisches bi-personales Feld, und die in ihm auftretenden Phänomene müssen dann als bi-personale formuliert werden“ (S. 795). Die beiden Autoren beschreiben die Eigenschaften dieser unbewussten Phantasie des analytischen Paares und betonen den

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