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III. FRÜHE ENTWICKLUNGEN NACH FREUD
Die Übertragung zu definieren ist schwierig, und zwar nicht allein wegen der rasanten Entwicklung des Konzepts im Freud’schen Werk, sondern auch aufgrund seiner Komplexifizierung durch andere Autoren sowie der Einführung von Differenzierungsmerkmalen wie „lateral“, „positiv“, „negativ“, „adhäsiv“, „mütterlich“, „väterlich“ und so weiter. Gleichwohl bleibt Freuds Darlegung der Übertragungsneurose, die sich vorwiegend bei neurotischen Patienten entwickelt, aber auch bei anderen Persönlichkeitsstrukturen auftauchen kann, ein wichtiger Meilenstein für die Identifizierung anderer Übertragungsformen. Im Laufe der Zeit haben Freuds Schüler und Nachfolger im Zuge des theoretischen und behandlungstechnischen Fortschritts Erweiterungen vorgenommen und andere Blickwinkel aufgezeigt. Abraham war der erste Analytiker, der sich für die Übertragung im Bereich der Psychose interessierte. Ferenczi wiederum entwickelte das Konzept der narzisstischen Übertragung und betonte die Introjektion als ausschlaggebenden Aspekt der Übertragungsherstellung: Das Subjekt nimmt die Welt in sich auf und verleibt sich äußere Objekte ein; deshalb betrachtet Ferenczi jede Objektliebe oder jede Übertragung als eine Erweiterung des Ichs oder als Introjektion (Ferenczi 1909). Er konzentriert die Aufmerksamkeit auf die individuelle Geschichte des Kindes und geht davon aus, dass es seine eigenen Organe autoerotisch besetzt: Hier liegt die Matrix dessen, was in der Übertragung wiederholt wird. „Die erste Objektliebe und der erste Objekthass sind gleichsam die Urübertragungen, die Wurzeln jeder künftigen Introjektion“ (S. 430). Das heißt, die Übertragung ist kein Charakteristikum der Neurose, sondern lediglich eine Übersteigerung eines normalen psychischen Prozesses. In seinem Klinischen Tagebuch und anderen späteren Schriften spricht Ferenczi sich dafür aus, die Theoretisierung der Behandlungstechnik zu vertiefen und die psychischen Prozesse, die sich im Analytiker abspielen, metapsychologisch zu untersuchen. So bahnte er weiteren Entwicklungen durch viele Analytiker, die nach ihm kamen, den Weg. III. A. James Strachey Wie wichtig waren Identifizierung und „Deutung“ für die Qualität und das Ergebnis psychoanalytischer Behandlungen? Ohne dass man klärte, was unter der Aktivität des „Deutens“ zu verstehen ist, wurde der Grad an Aufmerksamkeit, die der Analytiker den Hinweisen auf die Übertragung seines Patienten widmet, zu einem strittigen Thema. 1934 vertrat Strachey in einem berühmt gewordenen Aufsatz die Ansicht, dass einzig und allein Übertragungsdeutungen „mutative“ – d.h. verändernd wirkende – Deutungen und damit „tatsächlich das letzte Instrument der psychoanalytischen Therapie“ seien (Strachey 1935 [1934], S. 500). Unter Übertragungsdeutungen verstand er solche Einlassungen des Analytikers, die dazu beitragen, unbewusste Aspekte der Übertragung des Patienten ins Bewusstsein zu
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