Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Gruppe insgesamt und die einzelnen Gruppenmitglieder sehr rasch aktiviert werden und Charakterwiderstände zutage treten , die dann entsprechend umstandslos gedeutet werden können (Slavson 1947; Glatzer 1953; McKenzie 1992; Kauff 2011). Der Gruppenanalytiker hat dafür Sorge zu tragen, dass unbewusste Impulse nicht agiert werden; er muss die Grenzen und den Rahmen schützen und tut dies vorwiegend durch Deutung unbewusster Konflikte und Strebungen, die sich als Widerstand gegen die Weiterentwicklung der Individuen und/oder der Gruppe bemerkbar machen. Ausgehend von der im Bion’schen Sinn verstandenen unbewussten Gruppendynamik bedeutet dies, dass der Gruppenanalytiker die unbewussten regressiven Tendenzen der „Grundannahmengruppe“ containt, sie heraushören versucht und sie deutet. Gruppenanalytische Therapien, die aus der Gruppenarbeit mit Kindern (Slavson 1947) und mit Veteranen des 2. Weltkriegs (Foulkes 1948) hervorgingen, haben sich zu einem in sich geschlossenen Feld entwickelt. In ihnen finden erweiterte Sichtweisen des Unbewussten Anwendung, die aus den verschiedenen psychoanalytischen Richtungen hervorgegangen sind und sich beispielsweise an Winnicott oder Mahler orientieren oder an relationalen, selbstpsychologischen, intersubjektivistischen und feldtheoretischen Modellen des Unbewussten. Im Kern gehen alle Ansätze davon aus, dass die analytische Gruppe aufgrund der in ihr auftauchenden Übertragungs- und Entwicklungsphänomene ein einzigartiges dynamisches Reservoir an Wechselwirkungen zwischen unbewussten Prozessen darstellt, die in anderen Zusammenhängen nicht derart deutlich zutage treten. In nordamerikanischen Unternehmen, Kliniken, nicht-profitorientierten und akademischen Institutionen macht sich ein hybrides klinisch-organisatorisches Modell der psychoanalytisch orientierten „EXPERIENTIAL PROCESS GROUPS“ (Erfahrungsgruppen/Prozessgruppen) für Professionals, Businessmanager, Studierende oder Dozenten die Konzepte der unbewussten Gruppendynamik, der multiplen Übertragungswiderstände und der unbewussten Kommunikationen zunutze, um die Funktionalität von Arbeits- oder Lerngruppen und ihren Mitgliedern zu verbessern (Papiasvili 2011). Ein spezifisches Gruppenverfahren, das zuerst für Kinder und Jugendliche entwickelt und später mit Teilnehmern aller Altersgruppen praktiziert wurde, war das psychoanalytische Psychodrama von Lebovici und Diatkine (Lebovici, Diatkine und Kestemberg 1958). Im Gegensatz zu dem Jahrzehnte früher von Jacob Moreno entwickelten expressiven Gruppenpsychodrama handelte es sich um eine Therapie durch Dramatisierung. In ihren verschiedenen Anwendungen steht der einzelne Patient im Mittelpunkt der „Szene“, die auf der Grundlage seiner Erinnerungen und Phantasien entworfen wird; der Analytiker leitet potentielle Hilfstherapeuten an, damit sie sich an dem verbalen „Spiel“/Austausch mit dem Patienten beteiligen. Das Verfahren ist dem Auftauchen massiv abgewehrter unbewusster Inhalte und Prozesse nachweislich zuträglich und führt zur Einsicht.

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