Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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IV. Bc. Soziale Gewalt und Terrorismus Kernbergs (2003) Konzept der „sanktionierten sozialen Gewalt“ beschreibt ein Spektrum regressiver, maligner, narzisstisch-paranoider Mechanismen, die die alltägliche (unbewusste) Matrix jener sozialpsychologischen Aspekte bilden, die Gewalt sanktionieren. Kernberg erweitert Freuds Theorie insofern, als er sie um die Dimension der Angst vor den Folgen von Aggression ergänzt, die wiederum narzisstische und paranoide Abwehrhaltungen mobilisiert. In einem solchen Prozess der Gruppenregression werden normale Funktionen und Abwehroperationen durch die ganze Bandbreite an primitiven Abwehrmanövern ersetzt, die für paranoid-schizoide Mechanismen , wie sie ursprünglich von Klein beschrieben wurden, typisch sind. Kernberg und Green (Kernberg 2003) zufolge ist dieses unkontrollierte, gewaltige Potential zur Regression auf primitive Abwehroperationen, die primitive Aggression in erster Linie durch Spaltungen zu bewältigen versuchen , vielleicht der wichtigste Hinweis auf jenes basale Motivationssystem, welches das Gegenstück zur Libido darstellt und von Freud als Todestrieb bezeichnet wurde. Rice (1969), Green (1969) und Kernberg (1994, 2003) sehen solche unbewussten Inhalte und Prozesse in Individuen, kleinen und großen Gruppen, Institutionen und Gesellschaften am Werk. IV. Bd. Historische Traumata, das ethnische Unbewusste und soziale/internationale Krisen Herron (1995) beschrieb das „ ethnische Unbewusste “ als verdrängtes Material, das von einer Generation an die nächste weitergegeben und von der Mehrheit der ethnischen Gruppe geteilt wird. Historische Traumata einen die Mitglieder einen sozialen Gruppe, Rasse, Religion oder Nation und bewirken, dass sie besonders rasch auf eine paranoide Ideologie, auf paranoide Massenbewegungen, auf Fanatismus, Verfemung Außenstehender und gewalttätige Angriffe auf andere politische, nationale oder rassische Untergruppen regredieren. Volkan (1988, 1999) hat ein grundlegendes Verständnis der wechselseitigen Zusammenhänge zwischen historischem Trauma, Identitätsbildung und Konflikten zwischen Gruppen formuliert. „Andere Gruppen“ werden zu Zielobjekten früher Spaltungen, narzisstischer und paranoider Regressionen und entsprechender Abwehrmanöver. Volkan (1999) identifiziert das Ausbleiben eines Trauerprozesses als einen der ätiologischen Faktoren. Das unbewusste Potential für primitive Aggression, das in mehr oder minder hohem Maß in allen Individuen angelegt ist, ist im Kontext regressiver Gruppenprozesse sehr schnell aktivierbar. Die in der Gruppe aktivierte Aggression wiederum kann durch die Verbindung der kollektiven Internalisierung historischer Traumata (Papiasvili und Mayers 2013) mit einer akuten sozialen Krise, die die gewohnten sozialen Strukturen zerstört, zusätzlich geschürt werden. Solche Voraussetzungen begünstigen das Auftauchen der paranoiden Polarität einer vorherrschenden Ideologie und bereiten ihr einen fruchtbaren Boden.

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