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dass das Unbewusste sich der Beobachtung nicht zu erkennen gibt, sondern dass es lediglich aus nachträglichen psychischen Entwicklungen – „ aprés coup “ – erschlossen werden kann. Eine weitere Strömung der europäischen Auffassungen des Unbewussten wird durch eine Gruppe von Analytikern vertreten, die gemeinsam mit Kognitionswissenschaftlern, Neurobiologen und Neurowissenschaftlern das implizite prozedurale Wissen und das implizite Gedächtnis erforschen, in dem – so ihre These – sämtliche Erfahrungen der ersten beiden Lebensjahre gespeichert werden. Dieses theoretische Feld, dessen Gegenstand relationale, implizite oder enaktive Prozeduren und Repräsentationen sind, geht von einem Entwicklungsmodell aus, das mit aktuellen Erkenntnissen der Bindungstheorien, der Erforschung früher Mutter-Kind- Interaktionen sowie der affektiven und kognitiven Neurowissenschaften im Einklang steht. Der dritte wichtige Trend in europäischen Konzeptualisierungen des Unbewussten gründet in der Objektbeziehungstheorie , die sich auf den Beitrag des Objekts zur Bildung des Unbewussten – verstanden als Ergebnis der Internalisierung von Beziehungserfahrungen – konzentriert. Die angeborene Triebausstattung des Säuglings wird, so die Theorie, durch Interaktionen mit der Umwelt geprägt; diese Interaktionen wiederum werden durch unbewusste psychische Prozesse gefärbt und geformt. Das Unbewusste erhält seine Struktur dieser Denktradition gemäß durch die Qualität der psychischen Transformation von Sinneseindrücken und emotioanlen Erfahrungen in primären Beziehungen. Die innovativen Konzepte eines intermediären Bereichs zwischen dem Selbst und der Anderen sowie das Konzept des Übergangsobjekts bahnten einer kritischen Neubetrachtung der Objektbeziehungsdyade und einer Erweiterung auf ein „Drittes“ den Weg. Theoretische Konzepte wie das analytische Dritte, der Wachtraum und das ungedachte Bekannte verweisen allesamt auf Formen des unbewussten Wissens, die über das Konzept der Dyade hinausreichen und das Idiom sowie das gesamte Sein des Individuums durchdringen. In Nordamerika lassen sich in den Diskussionen über Themen wie unbewusstes Ich, unbewusster Prozess und unbewusste Verarbeitung, intrapsychischer Konflikt und Kompromiss, Rolle des Objekts, des Subjekts und „der Anderen“ in der Entwicklung und in der psychoanalytischen Situation, Internalisierung, Repräsentation, Symbolisierung, Enactments, horizontale Schichtung und vertikale Spaltungen, „Intersubjektivität“, Neuropsychoanalyse und Gruppenunbewusstes verschiedene Trends ausmachen. Bei der Fokussierung auf den Prozess wird die Untersuchung unbewusster Prozesse, unbewusster Verarbeitung und unbewusster Strukturen vom unbewussten Inhalt abgetrennt; dem Prozess an sich werden dabei immer häufiger sowohl fluide als auch strukturierte Dimensionen zugeschrieben.
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