Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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scheint man dahin zu tendieren, die unbewussten Prozesse mitsamt ihren fluiden und strukturierten Dimensionen als solche zu untersuchen und zwischen verschiedenen Ebenen des unbewussten Geschehens zu differenzieren: Wurden sie ursprünglich als relativ „unlogisch“ und „unkommunikativ“ erachtet, schreibt man ihnen heute eine eigene Logik und eigene Kommunikationsmodi zu. Inwieweit sich ein Patient auf diese oder jene Ebene des unbewussten Funktionierens stützt, trägt maßgeblich dazu bei, wie er auf die traditionelle analytische Technik reagieren wird. Prominente Rolle des Objekts, der Objektbeziehungen und der unterschiedlich konzeptualisierten Interaktion: In den Objektbeziehungstheorien wurde ein Konzept des Unbewussten entwickelt, das auf relationalen Modellen der Psyche beruht. Diese schreiben dem Objekt eine wichtige Rolle bei der Bildung (und Veränderung) des Unbewussten zu. Die unterschiedlich konzeptualisierten Modelle der Verinnerlichung von Beziehungserfahrungen in Interaktion mit der angeborenen Trieb- /Affektausstattung des Neugeborenen tragen mehrheitlich der Tatsache Rechnung, dass neben der Anerkennung und Befriedigung körperlicher Bedürfnisse auch die Mentalisierungs-, Symbolisierungs- und Kommunikationsfähigkeiten der primären Bezugspersonen sowie deren eigenes unbewusstes Leben einen entscheidenden Beitrag zur Konstituierung und Modulierung unbewusster Inhalte, Strukturen und Prozesse sowie zu deren Verbindung mit den rationaleren Bereichen der Psyche leisten. Während die Theoretiker des relationalen intersubjektiven Selbst und die Bindungstheoretiker den Beitrag betonen, den die erwachsenen Bezugspersonen zur Konstituierung der psychischen Struktur leisten, und diese Sichtweise weithin anerkannt wird, gibt die Annäherung einiger ihrer Befürworter an die kognitiven, subjektiven und intersubjektiven „psychologischen“ Realitäten und ihre Distanzierung von dynamischen Auffassungen des Unbewussten – als konflikthaft und durchdrungen von infantiler Sexualität und von der unreduzierbaren „Anderen“ – weiterhin Anlass zu Diskussionen. Viele heutige Autoren, die diese Überzeugung teilen, formulieren „zweigleisige“ Theorien des Unbewussten, in denen das „relationale Unbewusste“ als Konzept eine Verbindung psychoanalytischer Konzeptualisierungen dynamischer/intrapsychischer Phänomene mit intersubjektiven Phänomenen ermöglicht. Die Beteiligung des Analytikers: Die Anerkennung der Rolle, die dem Objekt im unbewussten psychischen Leben zukommt, hatte zur Folge, dass die im Hier und Jetzt auftretenden Gegenübertragungsmanifestationen zumeist als ein weiterer Königsweg zur Identifizierung und Repräsentation unbewusster Anteile betrachtet werden, die in der Behandlung ins Spiel kommen. Verbindung-Wechselwirkung: Die Diskussionen betreffen heute weniger den Beitrag, den intrapsychische, äußere und relationale Faktoren jeweils leisten, denn die Untersuchung widmet sich vor allem der Verbindung und komplexen Wechselwirkung zwischen der bindenden, träumenden, symbolisierenden und stützenden Funktion des frühen Objekts (und des Analytikers in der Gegenwart) und den unbewussten intrapsychischen „Reaktionen“ und Repräsentationen des Subjekts selbst.

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