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Unbewusste kennt keine Realitätsprüfung, so dass „die Denkrealität gleichgesetzt wird der äußeren Wirklichkeit, der Wunsch der Erfüllung“ (Freud 1911c, S. 237). Der Primärvorgang gehorcht dem Halluzinatorischen, der ersten Besetzungsmodalität des Unbewussten als System. Das System Bw-Vbw hingegen operiert unter der Herrschaft des Sekundärvorgangs und ist bestrebt, die Realitätsprüfung zu integrieren. Laut Green, Botella und Botella, Reid und anderen Autoren ist die Halluzination als Prozess somit die erste Form der unbewussten Besetzungsarbeit. Das psychische Geschehen, wie es das erste (topische) Modell Freuds beschreibt, ist tatsächlich das Ergebnis einer langen Phase der Abhängigkeit von und Interaktion mit den Psychen der Bezugspersonen – eine Entwicklung, die im Idealfall zu einer geglückten Verbindung zwischen den Systemen Ubw und Vbw/Bw führt. Charakterisiert ist diese Verbindung durch ein Alternieren von Opposition-Kollaboration, das durch eine flexible, halbdurchlässige Grenze erleichtert wird, die der Verdrängung als stabile und dennoch nicht starre Grundlage dient. Freud hat diese Beziehung der Opposition-Kollaboration detailliert ausgearbeitet, ohne indes Hypothesen bezüglich ihrer Genese oder Konstruktion aufzustellen. An ebendiesem Punkt übernahm Winnicott den Staffelstab, indem er der Entstehung der Realitätsprüfung nachforschte und die Übergangsphänomene entdeckte. Seither ist die Realitätsprüfung einer paradoxen Beziehung zwischen der Psyche und ihrer Umwelt eingeschrieben. Übergangsprozesse induzieren eine neue Modalität der unbewussten Besetzung, die den halluzinatorischen Modus um Realitätszeichen ergänzt. Im Übergang ist das hinreichend gute Objekt die Mutter und gleichzeitig nicht die Mutter. Primär- und Sekundärvorgang werden durch ihn gleichzeitig zusammengeführt und getrennt. Diese transitorische Form des unbewussten Geschehens oder der unbewussten „Arbeit“ – die Kombination des halluzinatorischen Modus mit der Realitätsprüfung – bahnt einem flexiblen Austausch zwischen den Systemen Ubw und Vbw-Bw den Weg und erklärt ihn. In diesem Kontext wird die Verdrängung zur wichtigsten Abwehroperation, denn sie verhindert und erleichtert (in der entstellten Wiederkehr des Verdrängten) den in beide Richtungen erfolgenden Transport psychischen Inhalts. Bei Unzulänglichkeiten der frühen Umwelt verlässt sich die Psyche vor allem auf die Ich-Spaltung als Abwehroperation und nicht auf die Verdrängung; das Ergebnis ist ein klarer Gegensatz zwischen Ubw und Vbw- Bw. Diese Art des psychischen Geschehens findet sich im gesamten Spektrum des Nicht-Neurotischen. All diese Arbeiten zeugen von der engen Verbindung, welche die zeitgenössische französische Theoriebildung zwischen dem Unbewussten und dem Trieb postuliert. Ein wichtiges Thema ist die gewissenhafte Untersuchung der „Konstruktion“ des Triebes, die ihren Ausgang von basalen physiologischen Reflexen nimmt. Der Trieb ist demnach wandelbar und in ständiger Veränderung begriffen; er durchdringt die gesamte psychische Aktivität und wird in bestimmten intersubjektiven Erfahrungen neu hervorgebracht. Die frühe Umwelt, so die Theorie, leistet einen maßgeblichen Beitrag zur Prägung und Evolution sowohl des Inhalts als auch der
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