Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Bria und Lombardi (2008) schreiben: „Wir möchten auf diese Weise abermals betonen, dass das Unbewusste und das Unendliche ihre Wurzeln im primitiven Körpererleben haben“ (S. 713). Und weiter: „Mithin konzentriert sich Matte-Blancos Forschung auf das Funktionieren der Logik, die das Denken und die Sprache als Elemente charakterisiert, welche nicht nur den analytischen Austausch in Gang halten, sondern auch für die Behandlung schwerer Fälle von zentraler Bedeutung sind“ (ebd., S. 711). Bria und Lombardi fügen als weitere Eigenschaften der unbewussten Logik das Fehlen von Beziehungen innerhalb der Denkstruktur, die Koexistenz von Denken und Nicht-Denken, die Zeit und die Zeitlosigkeit sowie die Desintegration bzw. Konfusion von Raum/Zeit hinzu (ebd., S. 709). Matte-Blancos Arbeit besitzt auch behandlungstechnische Implikationen, etwa die Erkenntnis, dass auf den tiefen Ebenen des psychischen Geschehens ein Prozess der Reverie (Bion 1990 [1962]) sowie verschiedene Formen des Haltens (Winnicott 1971) der systematischen Deutungsarbeit vorausgehen müssen. Diese erste Phase kann notwendig sein, damit das Subjekt/der Analysand Deutungen, die eine Toleranz für Asymmetrie und folglich einen logischen (symbolischen/metaphorischen) Sprung voraussetzen, als emotional bedeutsam statt als unendlich gefährlich erleben kann. Florence Guignard (1995) betrachtet Matte-Blancos Theorie des Unbewussten als eine Möglichkeit, „die triebhaften, entwicklungsbezogenen und strukturellen Elemente ‚des Infantilen‘ in die analytische Beziehung einzubringen“ (S. 1083). Zusammenfassend können wir festhalten, dass Matte-Blancos Theorie der unbewussten Logik (bi-logische, symmetrische Logik) die tiefsten Schichten des Unbewussten auf der mikroskopischen Ebene erforscht. Der Theorie zufolge bestimmen zwei miteinander unvereinbare Logiken in variierendem Maße sämtliche psychischen Prozesse: Einen asymmetrischen, der für das System Bewusst charakteristisch ist und den Satz des ausgeschlossenen Widerspruchs zugrunde legt, und als zweiten die symmetrische, unendlich generalisierende Logik des Unbewussten. Die asymmetrische Logik differenziert Objekte tendenziell in zunehmend individualisierte Mengen und charakterisiert das wissenschaftliche Denken. Die von Freud beschriebenen Eigenschaften des Systems Bewusst (Zeitlosigkeit, Verschiebung, Ersetzung der äußeren durch die psychische Realität, Widerspruchsfreiheit zwischen den beiden Trieben sowie Verdichtung) stammen demnach von diesen beiden Prinzipien her, denen die Logik des Unbewussten gehorcht. Die Relevanz, die Matte-Blancos Theorie der Bi-Logik des Unbewussten für die moderne Psychoanalyse besitzt, fand zunehmend Anerkennung (Grotstein 2000; Guignard 1995; Keene 1998; Newirth 2003). Als Form einer eigenständigen Logik/Symbolisierung/eines eigenständigen Diskurses betrachtet, erweist sich das primitive Unbewusste als hochentwickelter Erzeuger symbolischer Codes, die sich die Bi-Logik zunutze machen, um ihre Botschaft zu konstruieren; es kann zu einer potentiellen Quelle von Weitentwicklung und Wachstum werden.

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