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Leben einer anderen Person einzudenken und einzufühlen. Sie ist unsere lebenslange Fähigkeit, das zu erleben, was ein anderer Mensch erlebt“ (Kohut 1984/ 1989, S. 126). Empathie zielt darauf, einen Interaktionsprozess zwischen zwei Personen zu verstehen, und zwar in erster Linie mit Blick auf die narzisstische Pathologie. Was die ökonomischen Aspekte betrifft, so gilt es, zwischen der Besetzung des Ichs und der Besetzung des Selbst zu unterscheiden ; letztere ist dem Narzissmus vorbehalten. In der auf Freuds Strukturtheorie (zweite Topik) und dem aus Ich, Es und Über- Ich bestehenden psychischen Apparat gestützten Ich-Psychologie bedeutet Ich „wer man ist“. Anders als Selbst und Selbstobjekte verhandelt das Ich zwischen den Grundbedürfnissen des Individuums und den Anforderungen der Umwelt und zielt teils unbewusst, teils bewusst auf Anpassung und Angstlinderung In der klassischen ich-psychologischen Perspektive (Hartmann 1939/1960, 1950; Hartmann, Kris und Loewenstein 1946) ist das Ich von Geburt an existent und wird durch Funktionen repräsentiert, die nicht am Konflikt zwischen innerer und äußerer Realität beteiligt sind. Viele dieser Funktionen sind relativ autonom und entsprechen einer relativ konfliktfreien Sphäre im Ich. Diesem Modell zufolge entstammt nicht die gesamte Ich-Energie der Libido und den Trieben. Das Ich ist eine Organisation; es besitzt eine Struktur und weitere, komplexe Substrukturen mit hierarchischen Funktionen. Für einige dieser Funktionen haben Konflikte keine Folgen; Hartmann bezeichnete sie als primäre autonome Funktionen. Andere hingegen werden nach Konfliktbewältigung sekundär autonom. In diesem Prozess werden sämtliche Aspekte durch Beziehungen vermittelt; Identifizierungen werden zu einer wesentlichen Ich-Funktion, die diese „Neutralisierung“ der Energie fördert. Der Argentinier Roberto Doria (1997), der an der Entwicklung des frühen integrativen Denkens beteiligt war, hat in seinem Buch „Divergencias en la Unidad“ (Divergenzen und Einheit) auch ein Kapitel über die Ich-Psychologie verfasst, einen historischen Rückblick auf Hartmanns Werk. Doria verweist insbesondere auf die Kontinuitäten zwischen Freud und Hartmann, den Reichtum des Hartmann’schen Opus und sein Ziel, neue Horizonte zu öffnen und einer allgemeinen Psychologie den Weg zu bahnen. Doria betont vor allem die wichtige Rolle von Hartmanns Organisationsfunktion , die größere Auswirkungen hat als die Synthesefunktion. Er interpretiert Hartmann dahingehend, dass die funktionale Fähigkeit des Ichs und der Persönlichkeitsstrukturen auf dieser Organisationsfunktion beruht und von ihr reguliert wird, während die Synthesefunktion auf Ich-Funktionen beschränkt ist und die äußere Realität nicht berührt. Doria unterstreicht auch Hartmanns Ablehnung der Todestriebtheorie und sein Postulat eines in einer undifferenzierten konstitutionellen Matrix wurzelnden Aggressionstriebs. Die Neutralisierung dieser aggressiven Triebe ermöglicht die Integration von Energien, die dem Ich und dem Über-Ich zugute kommen. Doria zufolge zeigt sich hier in gewisser Weise eine Parallele zu dem von Freud angenommenen Mechanismus der Sublimierung. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen Hartmanns plädiert Doria nachdrücklich für eine Integration der Hartmann’schen ich-psychologischen Theorie und Technik mit der
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