Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Cecilio Paniaguas (2014) „Técnica Psicoanalítica: Aportaciones a la psicología del yo“ („Psychoanalytische Technik: Beiträge der Ich-Psychologie“) wurde in Lateinamerika vor allem von jungen Psychoanalytikern sehr wohlwollend aufgenommen, zumal der Autor die Behandlungstechnik gegenüber der Theorie priorisiert. Paniagua ist ein spanischer Psychoanalytiker, der sowohl auf Spanisch als auch auf Englisch schreibt und Grays streng prozessorientierte Interventionen nicht nur weiterentwickelte, sondern auch erkannte, dass sie „an andersartige kulturelle Milieus angepasst werden müssen“ (Paniagua 2008, p. 2019). Paniaguas systematischer Ansatz beruht in höherem Maß auf der Erforschung der Widerstände als auf dem assoziativen Durcharbeiten. Das therapeutische Bündnis spielt eine bedeutende Rolle, weil es dem selbstbeobachtenden Ich den Weg zum Verständnis des unbewussten Konflikts und zur Erforschung des Es bahnt und die für die Charaktereigenschaften prägenden Einflüsse herauszuarbeiten hilft. Laut Paniagua konzentriert sich die analytische Aufgabe vorwiegend auf die Exploration der Hindernisse, die als Widerstände gegen das Auftauchen der Triebe die Verbalisierung erschweren. Die Deutungen des analytischen Materials erhalten nur dann zeitlichen Vorrang, wenn der Patient in seiner Ich-Regression zur Introspektion fähig ist. Die Oberfläche ist insofern wichtig, als der Sequenz der Assoziationen, dem Wechsel des Tonfalls, Schweigepausen und Auslassungen, die auf die Art der gegen die Es- Abkömmlinge gerichteten Abwehr verweisen, besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird. Der Autor bezeichnet dies als mikroanalytisches Zuhören. Historisch gesehen, verbindet Paniagua seinen modernen ich-psychologischen Ansatz mit den Konzepten, die bei lateinamerikanischen Analytikern großen Anklang gefunden haben: Der Analytiker ist nicht allwissend, sondern verkörpert eine Haltung gesunden Nicht-Wissens ; dies ist mehr als die gleichschwebende Aufmerksamkeit, nämlich eine bewusste, aufmerksame Haltung gegenüber den freien Assoziationen des Patienten. Sie beruht auf Theodor Reiks (1948) Konzept des „Hörens mit dem dritten Ohr“ und verlässt sich in höherem Maß auf die Beobachtungen des Analytikers als auf das, was er empfindet. Auf diese Weise wird das Durcharbeiten das beobachtende Ich stärken; der Patient ist ein aktiver Teilnehmer und nicht lediglich Zulieferer biographischen Materials. Deutungen sind eher Klärungen (Bibring 1954) und messen den Bemühungen des Patienten, sich selbst zu beobachten, besonderen Wert bei. Sie unterscheiden sich also von den klassischen autoritativen, einseitigen deutenden Interventionen im herkömmlichen Sinn. Die Synthesefunktion des Ichs führt den analytischen Prozess zu den verdrängten Triebabkömmlingen und in Richtung besser angepasster Lösungen.

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