Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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zugrundeliegenden Phantasien und Triebe durch den Analytiker und seiner Bereitschaft, sie zu nutzen, zugute. Während sich lateinamerikanische Analytiker je nach den Theorien, an denen sie sich orientieren, in ihren Methoden zur Erforschung der unbewussten (inneren und äußeren) Motivation unterscheiden, haben die basalen Methoden des freien Assoziierens, das Setting, die Widerstands- und die Abwehrdeutung sowie die Arbeit mit Übertragung und Gegenübertragung nach wie vor Bestand. Die Ich-Psychologie ist auf vielerlei Weise in der klinischen Praxis allgegenwärtig. In der Arbeit mit Patienten erforschen Psychoanalytiker die primitivsten Pathologien des Körper-Ichs, die fehlende Symbolisierung und das Agieren als Teil der basalen zeitgenössischen psychoanalytischen Methode, Widerstände und Abwehroperationen, die die Ich- Funktionen des Symbolisierens und der Sprache beeinträchtigen, effektiv durchzuarbeiten. Es gibt ein dauerndes Bedürfnis nach tragfähigen Kernelementen der psychoanalytischen klinischen Theorie; theoretische Paradigmen (und Paradigmenwechsel) haben Auswirkungen auf die klinische Praxis (Tuckett 2011). Bemühungen um eine Integration von Ich-Psychologie und Objektbeziehungstheorien bilden in Lateinamerika die Grundlage dafür, dass sämtliche analytische Orientierungen einen gemeinsamen Nenner aufweisen: Sie alle erkennen an, dass unser Leben von unbewussten Motivationen gelenkt wird, auch wenn sie sich in ihren Methoden zur Erforschung dieser Motivationen unterscheiden. Das heißt, dass die zeitgenössische Ich-Psychologie mit ihren zahlreichen Facetten in Lateinamerika sehr lebendig ist, wenngleich sie als solche nicht immer anerkannt wird: Paradoxerweise runzelt man die Stirn über die Theorie, während die Technik einen wesentlichen Teil der täglichen psychoanalytischen Praxis ausmacht, weil man davon ausgeht, dass die Arbeit mit Abwehr und Widerstand den Weg zu grundlegenden Konflikten, Triebabkömmlingen, unbewussten Phantasien und Trieben bahnt. --- Die meisten Autoren in Nordamerika, Europa und Lateinamerika, die ich- psychologische Konzepte als Teil ihres theoretischen und klinischen Instrumentariums betrachten, gehen davon aus, dass die Ich-Entwicklung im Kontext von Objektbeziehungen und im Kontext der wechelseitigen Beeinflussung von Ich und Es erfolgt. In dieser Hinsicht postuliert die theoretische Unterscheidung zwischen den Trieben und ihren Abkömmlingen auf der einen und dem unbewusst operierenden Ich auf der anderen Seite, die sich klinisch in „Es-Analyse versus Ich-Analyse“ übersetzt, falsche Dichotomien. Die tiefenpsychologische Erforschung der Feinheiten des Netzes aus adaptiven, maladaptiven, defensiven und kreativen Ich-Operationen ermöglicht es, dass Triebmaterial spontaner an die klinische Oberfläche tritt, und dies wiederum ermöglicht eine gründliche Analyse des Es. Darüber hinaus werfen kreative konzeptuelle Integrationen von Varianten und Elementen der Ich-Psychologie und entsprechende Überschneidungen Licht auf den

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