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Theorektomie“), Kohut und Gill, die ursprünglich beide „voll und ganz der klassischen Metapsychologie verpflichtet waren, bevor sie radikale Alternativen zur traditionellen Theorie ausarbeiteten“. Aufschlussreich für Stolorows Entwicklung hin zu einer erfahrungsnahen Rekontextualisierung der (Freud’schen) Metapsychologie ist einer seiner frühesten Artikel (Stolorow 1978), in dem er behauptet, dass Freuds Strukturtheorie seine durchdringenden klinischen Einsichten in das subjektive Konflikterleben in sich enthalte und gleichzeitig unkenntlich mache. Es, Ich und Über- Ich, so Stolorows These, seien am besten zu verstehen als „eine symbolische Repräsentation der dreiteiligen Strukturierung der subjektiven Erfahrungswelt in emotionalen Konfliktzuständen“ (ebd., S. 314). Diesem Artikel ließ Stolorow etliche Beiträge folgen, in denen er wiederholt betonte, dass die Intersubjektivitätstheorie Freuds Theorie nicht ersetzen solle. Sie gehöre vielmehr „einer anderen Ebene der Abstraktion und Generalisierung als die Freud’sche und andere psychoanalytische Theorien an, weil sie keine spezifischen psychischen Inhalte postuliert. […] Sie ist eine Prozesstheorie […] und dient außerdem als Rahmen für die Integration unterschiedlicher psychoanalytischer Theorien, indem sie diese kontextualisiert“ (Stolorow 1998, S. 424). Als Beispiel für eine solche Kontextualisierung mag die intersubjektive Konfliktauffassung dienen: „Wenn man den Konflikt von der Doktrin des Primats der Triebe befreit, wird der spezifische Konflikt zu einer empirischen Frage, die man psychoanalytisch untersuchen kann. Der Fokus […] verschiebt sich von dem vermeintlichen Triebschicksal auf die intersubjektiven Kontexte, in denen sich Konfliktzustände herausbilden“ (Stolorow 1994, S. 224). Stolorow (1998) betont auch, dass der intersubjektive Blickwinkel die traditionelle psychoanalytische Aufmerksamkeit für das Intrapsychische nicht beeinträchtige. Sie kontextualisiert es vielmehr. Das Problem der klassischen Theorie besteht seiner Ansicht nach nicht in ihrer Konzentration auf das Intrapsychische, sondern in ihrem Versäumnis, die intrapsychische Welt als kontextabhängig anzuerkennen. Dieser Aspekt seines intersubjektiven Denkens gewann für die relationalen Schulen besondere Relevanz (s. unten). Während man klinische Konzepte wie z.B. Gegenübertragung, Enactment, projektive Identifizierung und Containment [siehe Einträge CONTAINMENT, ENACTMENT, GEGENÜBERTRAGUNG, PROJEKTIVE IDENTIFIZIERUNG] sowie, damit zusammenhängend, das dezentrierte klinische Zuhören, die Reverie usw. im Großen und Ganzen als Beiträge zur Entwicklung der Intersubjektivitätstheorie verstehen kann, wird deren klinische Relevanz am deutlichsten erkennbar, wenn man sie vor dem Hintergrund des Gegensatzes zwischen einem Eine-Person-Verständnis und einem Zwei-Personen-Verständnis des psychoanalytischen Prozesses, wie es von den US-amerikanischen Intersubjektivisten vertreten wird, begreift: Gemäß dem Eine-Person-Blickwinkel ist das Unbewusste (des Analysanden) das Ziel des Prozesses, z.B. in: „das Unbewusste bewusst machen“ im topischen Paradigma und/oder „Wo Es war, soll ich werden“ im strukturtheoretischen Paradigma. Der Analytiker ist hier die Autorität, die über die Kenntnis der basalen Parameter des
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