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der analytischen Dyade stattfindenden Austausch die Rede war; damit einhergehend rückten Aspekte der Trieb- und intrapsychischen Dynamik zunehmend in den Hintergrund. Die sogenannte „relationale Wende“, der „relational turn“, in der psychoanalytischen Kultur, also die Ablösung der „Eine-Person-Psychologie“ durch eine „Zwei-Personen-Psychologie“, vollzog sich in der europäischen ebenso wie in der nordamerikanischen Psychoanalyse. Doch während sich das relationale Modell in Nordamerika in Opposition zum ich-psychologischen Mainstream-Modell entwickelte, hat es seine Wurzeln in Europa zu einem gewissen Grad in einer Art relationalen Gewahrseins, das hier von Anfang an vorhanden, wenn auch nicht vollständig ausgereift war. Eine relationale Perspektive findet sich in der europäischen Psychoanalyse in mehreren Denkrichtungen, z.B. in Ferenczis Traumaverständnis, in Bowlbys Bindungsforschung und in Winnicotts Sicht der Mutter-Kind-Beziehung. Das postfreudianische Frankreich wurde zum Schauplatz wichtiger theoretischer und klinischer Weiterentwicklungen. Diese intellektuelle Explosion übte auch auf andere französischsprachige psychoanalytische Communities in Europa und Nordamerika einen tiefgreifenden Einfluss aus (siehe auch den Eintrag DAS UNBEWUSSTE). Im Kontext der allgemeineren historisch-kulturellen Bedeutung von Sprache und Übersetzungen initiierten französische Analytiker den Trend des „Zurück zu Freud“, einer Neulektüre, Dekonstruktion und Überprüfung der klassischen Konzepte, noch bevor Laplanche (1989a) die „Oeuvres complètes de Freud – Psychanalyse (OCFP)“ herausgab. Sie verstanden ihre Arbeit als Weiterentwicklung des Freud’schen Werkes und als Dialog mit seinen Schriften. Wegen des sehr spezifischen Charakters der Intersubjektivität in der französischen Psychoanalyse Europas und Nordamerikas (Kanadas) wird sie separat im Abschnitt III.C (s. unten) erörtert. II. D. Der sozio-historische Kontext der Theorie und der klinischen Praxis in Lateinamerika Die lateinamerikanische Psychoanalyse hat mehrere Quellen, die mehrheitlich in Europa liegen, so dass im Grunde Freud, Klein und Winnicott in den 1940er Jahren die Psychoanalyse in Lateinamerika „gründeten“ (später kam Lacan hinzu). Weitere zwei Jahrzehnte später machten zuerst Theorien, die in der britischen Schule entwickelt worden waren, und dann auch französische Konzepte ihren Einfluss geltend. Nachdem die Gedanken und Konzepte Freuds, Kleins, Winnicotts und Lacans in Nord- und Südamerika mehr als 50 Jahre lang studiert und angewendet worden waren, hatten sie sich verändert. Die kulturellen Gegebenheiten sorgten für Veränderungsmuster, die sich von den kulturellen Mustern in den Ursprungsländern
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